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Zum Prinzip moralischer Gleichheit

19/08/2013

Vor genau einem Jahr habe ich an einer Arbeit über Peter Singers Ausführungen zu oben genanntem Thema geschrieben, das mich seither in unterschiedlichsten Belangen immer wieder beschäftigt. Denn in der Diskussion von Fragen, die moralische Pflichten und Rechte von Menschen betreffen, fällt manchmal der Begriff der Gleichheit. Darunter wird selten verstanden, dass alle Menschen faktisch gleich sind, also ein jeder dieselben Eigenschaften hat. Viel häufiger wird die Begrifflichkeit in einem ethischen Sinne aufgefasst und als Entgegnung auf ein Argumentationsmuster verwendet, das moralisch irrelevante Unterschiede zwischen Menschen zur Rechtfertigung von Diskriminierung benutzt. Heutzutage sind sich viele Leute darin einig, dass sich beispielsweise sexistische oder rassistische Auffassungen auf diese Weise nicht begründen lassen. Wer allerdings mithilfe des Begriffs moralischer Gleichheit argumentiert, der sollte sich mit der Frage beschäftigen, worin diese genau besteht. Meine Überlegungen dazu möchte ich im Folgenden kurz zusammenfassen.

In der Ethik gibt es zwei große Strömungen, die deontologische und teleologische. Letztere befasst sich mit der Beurteilung von Konsequenzen einer Handlung gemäß dem Maßstab eines höchsten Ziels, zumeist Glückvermehrung oder Leidminimierung. Deontologische Konzepte hingegen betrachten nicht die Konsequenzen einer Verhaltensweise, sondern ob sie mit gewissen Prinzipien vereinbar ist. So würden manche strenge Deontologen wie Immanuel Kant eine Lüge oder einen Diebstahl ungeachtet der Umstände oder Konsequenzen ablehnen, weil sie ihren Prinzipien widersprechen. Wie man bereits vermuten könnte, waren beide Strömungen in ihrer Reinform großen Schwierigkeiten ausgesetzt, weshalb sich Mischformen einer wachsenden Beliebtheit erfreuten. Ich möchte nun eine solche Auffassung erläutern, nämlich das interessensorientierte Moralkonzept.
Den Anstoß fand dieser Artikel in einer Diskussion unter „Zur Rechtfertigung des Fleischkonsums„, in der die Tötung von Tieren für die Fleischproduktion dadurch gerechtfertigt wurde, dass dieser Zweck Ursache ihrer Geburt war. Denn unter der Voraussetzung, dass sie gut gehalten wurden und daher bis auf den Tag der Schlachtung ein einigermaßen glückliches Leben hatten, entspricht dies dem Gedanken der Vermehrung des Glücks; sowohl beim Tier, das dieses Leben führte, als auch beim Konsumenten, der sich am Geschmack erfreut. Hingegen wäre es, wenn es keinen Fleischbedarf geben würde, nicht zur Geburt und daher auch nicht zur Vermehrung des Glücks gekommen; weder beim Tier noch beim Konsumenten. Aus rein teleologischer Sicht ist das ein gültiges Argument. Es sieht sich aber mit üblichen Problemen dieses ethischen Zweiges konfrontiert, die schnell erklärt sind. Was nämlich völlig außen vor gelassen wird, ist das Prinzip der moralischen Gleichheit. Dieses besteht darin, jenen Bedürfnissen, denen im selben Ausmaß innewohnt, Glück und Leid zu befördern, dieselbe Achtung zukommen zu lassen; unabhängig davon, wessen Bedürfnisse es sind. Es spielt keine Rolle, ob es meine sind oder deine, ob es die eines Weißen oder eines Schwarzen, die eines Mannes oder einer Frau sind, ob es die eines Menschen oder eines nichtmenschlichen Tieres oder eines Außerirdischen sind. Ebenso spielt es keine Rolle, welchen Sinn man für das Leben des Trägers eines Bedürfnisses festgelegt hat. Es gibt keine vernünftige Rechtfertigung dafür, seine Ansprüche aus irgendeinem ethisch irrelevanten Grund zu missachten. Dazu gehört auch die Fremdzuweisung eines Zweckes bei der Geburt. Interessen werden nach dem Potential der ihnen innewohnenden Empfindung beurteilt, und nicht nach irgendeinem Merkmal desjenigen, der das dem Interesse zugrundliegende Bedürfnis hat. Und eben das meinen wir in den häufigsten Fällen, wenn wir von moralischer Gleichheit sprechen.
Die Argumentation dieses Prinzips ist geradezu offenkundig: Es steckt das angestrebte Ideal der Gerechtigkeit dahinter. Es läuft diesem Streben zuwider, das Interesse eines Individuums am Fortbestand des Lebens oder irgendein anderes seiner Interessen geringer zu achten, weil es wegen eines fremdbestimmten Zwecks geboren wurde. Dass es dafür keine vernünftige Rechtfertigung geben kann, leuchtet uns sofort ein, wenn wir uns in die Lage des Betroffenen versetzen. Es ist völlig unvorstellbar, Menschen großzuziehen und in die Gesellschaft zu integrieren, aber sofort zu töten, wenn wir ihre Organe benötigen. Es ist heutzutage wenigstens in weiten Teilen der Welt undenkbar, einen Menschen zum Wohle von fünf anderen zu versklaven. Selbst in Anbetracht der quantitativen Glückvermehrung ist uns die dahinterstehende Ungerechtigkeit augenscheinlich. Denn die hier beschriebenen Prinzipien der moralischen Gleichheit und der Gerechtigkeit sind als abstrakte ethische Wegweiser im Bewusstsein der Gesellschaft fest verankert.

Man mag sich die Frage stellen, weshalb in tierethischen Fragen noch immer mit solchen Argumenten diskutiert wird, ohne dass demjenigen, der diese zumeist gar mit großer Überzeugung vorbringt, die Inkonsistenz seines eigenen Wertekonzeptes offenbar wird. Es ist immerhin ein klarer Verstoß gegen das allseits befürwortete Prinzip der moralischen Gleichheit, die Interessen von Lebewesen nur deshalb geringer zu achten, weil sie einer anderen Spezies angehören. Die Ursache für dieses Unverständnis liegt meines Erachtens in der mangelnden Bewusstseinsbildung für die Bedürfnisse und die Empfindungsfähigkeit von nichtmenschlichen Tieren. Die daraus erwachsende und eben erläuterte Ungerechtigkeit, die man auch Speziesismus nennt, äußert sich tatsächlich als der vielleicht hartnäckigste aller Chauvinismen, die in unserer Gesellschaft zu finden sind. Er findet sich bei allen Leuten, bei den klugen und dummen, bei den gebildeten und ungebildeten, bei den politischen und unpolitischen, bei den sozialen und asozialen, bei den nachdenklichen und bei den unüberlegten. Wie man dem Rassismus und dem Sexismus ursprünglich begegnet ist, so kann man auch den Speziesismus nur mit Aufklärung bekämpfen.

Liebe Grüße,
Mahiat

From → Ethik

16 Kommentare
  1. Diomedes permalink

    Hallo,

    ich folge deiner Aufforderung und führe die Diskussion (unter Einbeziehung dieses Beitrags) hier weiter.
    Zuerst möchte ich nochmals in aller Deutlichkeit betonen, dass eine Zweckzuweisung für mich kein Argument darstellt und nie darstellte. Ich distanziere mich von dieser Argumentation, weil sie für mich in sich nicht schlüssig ist (wie zuvor schon betont).
    Ich möchte – der Vollständigkeit halber – kurz klarstellen, ob du mir in dem Punkt zustimmst, dass rein vom Standpunkt der Glückmaximierung die Schlachtung von Tieren zum Verzehr ihres Fleisches zumindest nicht per se unethisch ist. Mir scheint nämlich, dass die folgende Diskussion – obwohl im Zusammenhang mit Fleischkonsum sicher angebracht – mit diesem speziellen Argument nur noch marginal zu tun hat.

    Zu deiner Argumentation: ich stimme dir zu, dass die Idee von Fleischkonsum nicht mit der Idee moralischer Gleichheit vereinbar ist. Jedoch machst du hier den Fehler, auch die Idee der moralischen Gleichheit als von jedermann akzeptierte Prämisse anzusehen. Das ist bei mir nämlich nicht der Fall. Dieses Konzept halte ich für unsubstantiiert und damit willkürlich konstruiert. Ich möchte es vergleichen mit der Idee, dass Töten prinzipiell schlecht sei (vgl. meine vorigen Kommentare); ein Konzept, das Menschen aus einem Bauchgefühl her als „richtig“ akzeptieren, ohne es rational umfassend begründen zu können.
    Ich gaube lediglich an die von dir angesprochene faktische Gleichheit. Die moralische Gleichheit sehe ich als ein Konstrukt an, das vom Menschen geschaffen wurde aus der Unfähigkeit heraus, über die Abwägbarkeit von Leben offen zu diskutieren, das aber weder ausreichend umrissen noch ausreichend begründet ist (s.o.). Das Konzept der moralischen Gleichheit ist damit in unserer Gesellschaft ein notwendiges Übel, weil bei einer offenen Diskussion über die Abwägbarkeit von Leben ansonst ein nie dagewesener Shitstorm ausbrechen würde. Kein Politiker, keine Person des öffentlichen Lebens, niemand würde es sich in unserer Zeit trauen, dieses Thema anzusprechen. Natürlich ist diese Berührungsangst nicht unberechtigt. Ich möchte aber – mit Verweis auf die folgende Argumentation – betonen, dass das Konzept der moralischen Gleichheit als Basis für eine Argumentation in einer Grundsatzdiskussion denkbar ungeeignet ist.
    Tatsache ist: Wir wägen täglich Leben ab. Das beginnt schon bei der Definition von „Leben“. Denn laut der wissenschaftlichen Definition von Leben fallen nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Bakterien, Archaeen, Pflanzen und Pilze in die Kategorie „Lebewesen“. Nun müssen wir uns fragen, wer hier eigentlich gleichgestellt werden soll. Sprechen wir hier tatsächlich von Lebewesen? Dann müssten wir uns zuerst mit dem Problem beschäftigen, dass wir jeden Morgen beim Zähneputzen einen Genozid an den Bakterien in unserem Mund begehen – es sterben Millionen von Lebewesen nur für die Gesundheit unserer Zähne, und das, obwohl wir auch ohne gesunde Zähne überleben könnten. Auch wird lediglich im Scherze und niemals ernst darüber gesprochen, dass Vegetarier bzw. Veganer die unschuldigen Karotten und Sojabohnen brutal aus ihrem Lebensraum entfernen und schließlich töten und verdauen. So eine Argumentation wirkt selbstverständlich grotesk, ist aber in Anbetracht der Grundaussage deines Beitrages zum Speziesismus angebracht – denn wenn es für dich willkürlich wirkt, wenn ein Mensch sich über ein Tier stellt, frage ich dich: ist es nicht genauso willkürlich zu sagen „Hühner, Schweine, und Kühe sehen wir als gleichberechtigt an, aber Insekten, Bakterien, Pflanzen nicht?“. Oder, etwas raffinierter und um der Bakterien-Problematik zu entgehen: „Eukaryonten sind schutzbedürftiger als Prokaryonten“? Oder: „Mehrzellige Lebewesen sind schutzbedürftiger als einzellige“? Oder: „Lebewesen, die durch Photosynthese Energie gewinnen sind weniger schutzbedürftig als solche, die andere Lebewesen verspeisen?“
    All das macht deutlich, wie löchrig und problematisch die Idee der moralischen Gleichheit ist – eben deswegen, weil diese Gleichheit nicht existiert, sondern ein politisch-soziales Konstrukt ist, das entsprechend nie wirklich umfassend definiert oder substantiiert worden ist. Und genauso wie der „Genozid“ an Millionen von Bakterien in unserem Mund jeden Morgen etwas völlig anderes ist als der Genozid an 6 Millionen Menschen durch den Holocaust (obwohl es sich jeweils um die systematische Tötung von Lebewesen handelte), gibt es auch einen Unterschied, ob man ein Huhn für sein Fleisch züchtet und schlachtet oder ob man einen Menschen versorgt und ihm nach Belieben seine Organe entnimmt (obwohl man jeweils ein Lebewesen zum eigenen Vorteil versorgt, um sich am Ende an ihm zu bereichern).
    Das sagt natürlich noch nichts über die prinzipielle ethische Vertretbarkeit einer Handlung aus. Es sagt aber aus, dass ein „Rundumschlag“ auf Basis der Idee von „moralischer Gleichheit“ nicht konsistent ist.

    • Ich möchte – der Vollständigkeit halber – kurz klarstellen, ob du mir in dem Punkt zustimmst, dass rein vom Standpunkt der Glückmaximierung die Schlachtung von Tieren zum Verzehr ihres Fleisches zumindest nicht per se unethisch ist.
      Aus rein teleologischer Sicht stimmt das. Das habe ich ja auch im Artikel bereits eingeräumt. Doch das spielt grundsätzlich keine Rolle, denn ein Konzept auf rein teleologischer Basis ist eben wie erwähnt aufgrund zahlreicher damit einhergehender Probleme zu kurz gegriffen.

      Jedoch machst du hier den Fehler, auch die Idee der moralischen Gleichheit als von jedermann akzeptierte Prämisse anzusehen. Das ist bei mir nämlich nicht der Fall. Dieses Konzept halte ich für unsubstantiiert und damit willkürlich konstruiert.

      Sie wird offenkundig nicht von jedermann akzeptiert. Dass sie aber meinem Beitrag entsprechend ein fest verankerter moralischer Wegweiser der Gesellschaft ist, hast Du ja selbst eingestanden. Gehst Du nicht mit dem Prinzip der Gerechtigkeit konform, so bist Du natürlich nicht inkonsistent in deinem Wertesystem. Allerdings stimmt es nicht, dass es für das Streben nach diesem Ideal keine vernünftige Erklärung gibt und das Konzept willkürlich konstruiert ist. Das Argument dafür wurde eigentlich im Beitrag bereits kurz aufgeworfen, ich führe es nochmals näher aus. Wir gehen hierbei von der für die Disziplin der Ethik grundlegenden Prämisse aus, dass Handlungen moralisch rechtfertigungsbedürftig sind. Wenn wir diese fallen lassen, wird nämlich jede Diskussion über Fragen des rechten Verhaltens obsolet. Wir denken dann weiters an ein Individuum A und ein Individuum B, die sich in ihren Merkmalen völlig unterscheiden oder auch ähnlich sein mögen. Beide haben ein Bedürfnis, das sie gerne stillen möchten. Wir gehen davon aus, dass A und B bei der Stillung gleichermaßen glücklich und bei fehlender Befriedigung gleichermaßen leiden würden. Das Prinzip der moralischen Gleichheit besagt dann, dass wir dem Bedürfnis von A dieselbe Achtung schenken sollen wie dem Bedürfnis von B.
      Soweit, so klar. Angenommen, man berücksichtigt Prinzipien der Gerechtigkeit in den Handlungen nicht und schenkt in seinem Handeln etwa dem Bedürfnis von A Beachtung, nicht aber dem Bedürfnis von B. Dann muss man nach Voraussetzung nachvollziehbar erklären, weshalb man sich auf diese Weise verhalten hat. Wenn wir aber als Maßstab für unser Handeln die Ausprägungen der Empfindungen von Glück und Leid akzeptieren, ist eine solche Rechtfertigung unmöglich. Denn die Bedürfnisse hatten ja im selben Ausmaß das Potential, Glück und Leid zu befördern. Daher ist das Gerechtigkeitsprinzip ein immanenter Bestandteil eines jeden ethischen Konzeptes, dem die Empfindungen von Glück und Leid als Maßstab zugrundeliegen.

      Dies ist eine logische Grundlage für das moralische Gleichheitsprinzip. Intuitiv kann man diese Argumentation verstehen, wenn man sich in die Lage der jeweiligen Betroffenen versetzt. Auch dazu habe ich im Artikel bereits angeregt. Wie kann man ein Verhalten vernünftig rechtfertigen, wenn man es nur dann aufrichtig gutheißen kann, wenn man selbst nicht der Betroffene ist?

      Nun müssen wir uns fragen, wer hier eigentlich gleichgestellt werden soll. Sprechen wir hier tatsächlich von Lebewesen?
      Nichts für ungut, aber wenn Du meinen Artikel richtig verstanden hättest, hättest Du Dir den Rest Deines Kommentars sparen können. Ich habe klar und deutlich dargelegt, auf was sich die moralische Gleichheit bezieht, nämlich auf die gleiche Achtung von Interessen, denen im selben Ausmaß das Potential innewohnt, Glück und Leid zu befördern. Die Bedürfnisse von Lebewesen, bei denen man aus biologischer Sicht vernünftigerweise davon ausgehen muss, dass sie zu Empfindungen gar nicht in der Lage sind, die in diesem Sinne also gar kein Interesse an der Stillung ihrer Bedürfnisse haben können, müssen in einer interessensorientierten Ethik natürlich nicht berücksichtigt werden. Da ich mich ungern wiederhole, möchte ich Dich darum bitten, die Diskussion beim Artikel „Zur Rechtfertigung des Fleischkonsums“ zu lesen. Dort findest Du neben genaueren Erläuterungen zu diesem Thema übrigens auch einen Link zu einem Beitrag, der sich mit der Frage befasst, weshalb man ethischen Konzepten die Empfindungen des Glück und des Leids als alleinigen Maßstab zugrundelegen sollte, woraus ja dann sofort das Prinzip moralischer Gleichheit folgt.

      Liebe Grüße
      Mahiat

  2. Diomedes permalink

    Hallo,

    verstehe ich dich richtig, dass du sagst, dass die moralische Rechtfertigung auf den Ausprägungen von Glück und Leid basieren müssen? Denn dann waren meine Ausführungen nicht irrelevant, denn gerade zuvor habe ich ja dargelegt, dass aus einer Perspektive, die lediglich auf Glück und Leid abstellt, der Konsum von Fleisch nicht unethisch ist. Wenn du nun dein Argument darauf (eine Ablehnung des Speziesismus) wiederum auf der Idee von Glück und Leid basieren lässt, hast du eine Kreisargumentation geschaffen, die sich irgendwo verliert:
    > Das Töten von Tieren ist unethisch, weil wir damit gegen den Grundsatz der moralischen Gleichheit verstoßen.
    > Der Grundsatz der moralischen Gleichheit ist gültig, weil er sich auf eine objektive Abwägung von Glück und Leid basiert.
    > Eine objektive Abwägung von Glück und Leid in der Fleischindustrie fällt aber (s.o.) zugunsten der Fleischindustrie aus, weil dadurch ein Nettogewinn an Glück entsteht.

    Weiters gehst du in deiner Argumentation stets von zwei Individuen aus, deren Fähigkeit zur Wahrnehmung von Glück und Leid gleich nebeneinanderstehen. Davon kann aber beim Vergleich von Mensch und Tier nicht die Rede sein – das menschliche Nervensystem weiter entwickelt, und vor allem durch die Fähigkeit der Selbsterkenntnis, der Fähigkeit akribischer Planung bzw. detaillierter Vorstellungen von der Zukunft weicht es stark von beinahe allen Tiergehirnen (zumindest aber den Hirnen der gängigen Zuchttiere) ab.

    Weiters vermag deine Unterscheidung der Abgrenzung von Lebewesen, die die „moralische Gleichheit“ umschließt, nicht zu überzeugen, wie ich anhand von zwei Beispielen darlegen möchte:
    Dieser Unterscheidung nach würde ein Mensch, dessen Gehirn aufgrund erheblicher Funktionsstörungen (z.B. durch eine genetische Missbildung oder einen Autounfall) nicht mehr in der Lage ist, Leid wahrzunehmen, moralisch auf eine Stufe gestellt werden mit einem Wimpertierchen. Dies widerspricht aber nicht nur geltendem Recht, sondern auch dem allgemeinen moralischen Bauchgefühl.
    Zweitens wäre nach dieser Argumentation die Schlachtung einer Kuh, die durch Genmodifikationen in ihrer Physiologie so manipuliert worden wäre, dass ihr wichtige Hirnareale zur Wahrnehmung von Leid und Glück fehlen (insb. Teile des präfrontalen Cortex, Amygdalae bzw. weitere Kernbereiche des limbischen Systems), unproblematisch.
    Auch das erschließt sich mir nicht: warum ist die Schlachtung einer Kuh, die glücklich für 15 Monate gelebt hat ethisch unvertretbar, hingegen die Schlachtung einer anderen – derart manipulierten – Kuh, die 15 Monate dahinvegetiert (im wahrsten Sinne) hat, ethisch gesehen völlig unproblematisch? Ich sehe natürlich einen Unterschied, aber keinen derart erheblichen.

    • Verstehe ich dich richtig, dass du sagst, dass die moralische Rechtfertigung auf den Ausprägungen von Glück und Leid basieren müssen?
      Ja.

      Denn dann waren meine Ausführungen nicht irrelevant, denn gerade zuvor habe ich ja dargelegt, dass aus einer Perspektive, die lediglich auf Glück und Leid abstellt, der Konsum von Fleisch nicht unethisch ist.
      Aus einer Perspektive, die alles ethische Handeln nach dem Maßstab der Glückvermehrung ohne Berücksichtigung irgendeines anderen Aspektes beurteilt, ist das ja auch zutreffend. Allerdings habe ich schon erklärt, dass sich eine solche mit zahlreichen Problemen und unter anderem eben auch mit einem Widerspruch konfrontiert sieht. Deine Darstellung ist äußerst gewieft, da sie diese Inkonsistenz nun so zum Ausdruck bringt, als wäre sie ein Problem der interessensorientierten Ethik. Das ist sie nicht:

      Voraussetzung: Die Rechtfertigung einer Handlung soll auf einem objektiven Abwägen von Interessen basieren, die also nur nach dem Maßstab von Empfindungen beurteilt werden sollen.

      Daraus folgt mit obigem Argument:
      Der Grundsatz der moralischen Gleichheit ist gültig. Denn es steht ja gerade im Widerspruch zur Voraussetzung der Objektivität, gleiche Interessen verschieden zu gewichten, selbst wenn die Handlung insgesamt zu einer Glückvermehrung führen würde.

      Nicht die interessensorientierte Ethik steht also im Widerspruch zu sich selbst. Es sind eben die rein teleologischen Konzepte, die sich mit dem Problem konfrontiert sehen, dass sie, wenn sie das Glück nur nach Ausmaß bewerten und das des einen daher genau so hoch ansehen müssen wie das des anderen, eine verschiedene Beachtung der Bedürfnisse innerhalb ihres eigenen Konzeptes nicht rechtfertigen können. Wie ich aber vorhin dargelegt habe, bedarf es in der Disziplin der Ethik nunmal einer solchen Rechtfertigung. Auf diese Schwierigkeit wurde bis heute keine angemessene Antwort gefunden, weshalb die Einbettung deontologischer Elemente eine konstruktive und, wie man sieht, auch eine logische Konsequenz ist.

      Weiters gehst du in deiner Argumentation stets von zwei Individuen aus, deren Fähigkeit zur Wahrnehmung von Glück und Leid gleich nebeneinanderstehen.
      Das ist falsch. Ich spreche von den Interessen zweier Lebewesen, denen im selben Ausmaß das Potential von Glück und Leid innewohnt. Die Träger dieser Interessen können durchaus ein völlig verschiedenes Empfindungsvermögen haben, wenn die Interessen selbst unterschiedlicher Gestalt sind. Nun diskutieren wir nämlich beispielsweise das Interesse eines Menschen an der Befriedigung des luxuriösen Bedürfnisses nach dem guten Geschmack und dem Genuss gewohnter Speisen und vergleichen das mit dem Interesse eines Zuchttieres an dem Bedürfnis nach der Freiheit von psychischen und körperlichen Leiden und nach dem Fortbestand des eigenen Lebens. Hierbei auch nur von der Gleichwertigkeit dieser beiden Interessen hinsichtlich der dahinterstehenden Empfindungen zu sprechen, wäre offensichtlich grob vermessen. Ich verweise dazu abermals auf den Artikel, bei dem unsere Diskussion begonnen hat. Dort habe ich das in meiner Argumentation genauer ausgeführt.
      Im Übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang auf den gängigen Fehler hinweisen, Intelligenz mit Empfindungsvermögen zu verwechseln. Ich gehe durchaus davon aus, dass die größeren Zuchttiere körperliche Schmerzen in einem Ausmaß spüren, das mit dem unserer Empfindungen absolut vergleichbar ist. Das Interesse an der Freiheit von physischem Leid wäre demnach also auch prinzipiell gleichermaßen zu berücksichtigen. Wie wir aber an Deinen folgenden Beispielen sehen, sind solche Fragen in jedem gegebenen Fall stets individuell zu beurteilen.

      Dieser Unterscheidung nach würde ein Mensch, dessen Gehirn aufgrund erheblicher Funktionsstörungen (z.B. durch eine genetische Missbildung oder einen Autounfall) nicht mehr in der Lage ist, Leid wahrzunehmen, moralisch auf eine Stufe gestellt werden mit einem Wimpertierchen.
      Vorausgesetzt, dass wir das mit absoluter Sicherheit sagen könnten und ebenso sicher, dass dieser Mensch nie wieder die Fähigkeit haben wird, Glück und Leid wahrzunehmen, wäre das richtig. Obgleich die Autorität gegenwärtiger Rechtssysteme in ethischen Diskussionen keine Rolle spielt, ist mir kein Gesetz bekannt, dass einer derartigen Auffassung unter diesen Voraussetzungen widerspricht. Der Grund dafür könnte auch sein, dass sich die Diskussion darum erübrigt, weil eine solche Situation der absoluten Gewissheit sowieso nie gegeben ist. Außerdem darfst Du dabei nicht vergessen, dass es andere Personen geben könnte, die ein mit diesem Mensch in Zusammenhang stehendes Interesse haben, das berücksichtigt werden muss.

      Warum ist die Schlachtung einer Kuh, die glücklich für 15 Monate gelebt hat ethisch unvertretbar, hingegen die Schlachtung einer anderen – derart manipulierten – Kuh, die 15 Monate dahinvegetiert (im wahrsten Sinne) hat, ethisch gesehen völlig unproblematisch?
      Weil Erstere ein Interesse am Fortbestand dieses glücklichen Lebens hat und ebenso ein Interesse an der Freiheit von Leid, das bei der Schlachtung fast nie berücksichtigt werden kann. Letztere hingegen hat gar keine Interessen, weshalb es nichts gäbe, das berücksichtigt werden müsste; es sei denn, ein anderes empfindendes Lebewesen hat ein Interesse daran, dass diese Kuh nicht geschlachtet wird.

      Liebe Grüße
      Mahiat

  3. Diomedes permalink

    Hallo,

    du siehst also den Widerspruch der teleologischen Betrachtung in der moralischen Gleichheit. Zwar behaupte ich immer noch, dass so eine Gleichheit de facto nicht existiert (dazu später), aber angenommen, sie täte es: Sieht deine Betrachtungsweise sich dann nicht mit dem Problem konfrontiert, dass du zu einseitig auf das Schlachten abstellst? Du stellst hier bei den Interessen lediglich das Interesse am Leben des Tiers gegen das Interesse des Menschen am Fleisch, vergisst aber, dass hier auch andere Interessen mit im Spiel sind; eben das Interesse des Tieres an einem glücklichen Leben vor der Schlachtung – wo wir wieder bei meinem Ausgangsargument angekomen wären.
    Die Unterschiede sind nämlich nicht so eklatant, wie du sie dargestellt hast. Ich muss dich fragen: Bist du ein strikter Abtreibungsgegner? Denn in unserer Gesellschaft ist es schließlich auch erlaubt, gezeugtes Leben (und ja, ein Embryo im Bauch ist lebendig) wieder zu töten, wenn die Laune der Eltern (z.B. deren finanzielles Interesse) dagegen steht. Das Interesse am Leben wird also in unserer Gesellschaft auch beim Menschen nicht absolut geschützt, obwohl der Embryo ein potentielles Interesse am Fortbestand seines Lebens hat. An dieser Stelle möchte ich nochmals betonen, dass eine völlige moralische Gleichstellung von Mensch und Tier lebensfremd ist, weil Mensch und Tier einfach nicht faktisch gleich sind, und nicht einmal nicht gleich, sondern substantiell unterschiedlich – das erkennt man alleine schon daran, dass der Mensch Träger von Rechten und Pflichten ist, Tiere hingegen keine Pflichten haben. Ich gehe mit der Idee hinter der von dir formulierten moralischen Gleichheit konform, dass auch Tiere Träger von Rechten sind und sich diese Rechte auch grundlegend an denen des Menschen orientieren sollen. Heißt ein Tier hat auch ein Recht auf Leben, ein Recht auf ein Mindestmaß an Würde, ein Recht auf ein Dasein ohne Folter. Mit was ich nicht konform gehe ist eine völlige und absolute Gleichstellung dieser Rechte, sodass sie in ihrer praktischen Handhabung auf eine Stufe mit der des Menschen gestellt werden. So eine Betrachtung finde ich in Anbetracht der eklatanten faktischen Unterschiede einfach nicht angemessen. Und genau so, wie wir in gewissen Fällen das menschliche Interesse an Leben kompromittieren können, wenn anderweitige Interessen entgegenstehen (selbst, wenn diese Interessen weniger wert sind!), sollten wir auch das Interesse am Leben von Tieren kompromittieren können – unter entsprechend abgeänderten Anforderungen. Inwieweit man diese Bedingungen abändern. Inwieweit man diese Bedingungen abändert, ist natürlich diskutabel. Ich vertrete – wie schon dargelegt – einen Standpunkt der darauf abstellt, dass ein Tier zumindest dann geschlachtet werden „darf“, wenn es Zeit seines Lebens ordentlich behandelt worden und zu diesem Zweck gezüchtet worden ist. Natürlich kann man auch gut andere Standpunkte vertreten.

    Hier möchte ich nochmals darauf hinweisen, was das Ziel meiner Kritik hier ist: Nicht, dass ich auf Biegen und Brechen den Konsum von Fleisch rechtfertigen möchte – ich ernähre mich selbst seit geraumer Zeit fast völlig fleischlos – sondern, weil mir die Aussage sauer aufstößt, dass ein Mensch, welcher sein Verhalten auf vernünftigen Überlegungen basieren lässt zu dem Schluss kommen MUSS, der Konsum von Fleisch sei unethisch. Ich bin wie dargelegt der Meinung, dass man den Konsum von Fleisch unter gewissen Voraussetzungen (artgerechte Haltung) sehr wohl auch vernünftig nachvollziehbar rechtfertigen kann.

    P.S., wegen dem Gesetz: ein Mensch hat Zeit seines Lebens alle Menschenrechte. Das Leben endet mit dem Hirntod – jedoch ist prinzipiell eine Konstellation vorstellbar, in der ein Mensch nicht hirntot ist, seine Hirnfunktionen aber so weit eingeschränkt sind, dass er nicht mehr zur Wahrnehmung von Glück oder Leid in der Lage ist. So einem Menschen ist immer noch Träger von Menschenrechten. Außerdem wird auch die Würde des Menschen posthum geschützt.

    • Du siehst also den Widerspruch der teleologischen Betrachtung in der moralischen Gleichheit.
      Zumindest muss der Teleologe irgendeine vernünftige Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung von Interessen gleichen Potentials finden. Das ist bisher nie gelungen.

      Du stellst hier bei den Interessen lediglich das Interesse am Leben des Tiers gegen das Interesse des Menschen am Fleisch, vergisst aber, dass hier auch andere Interessen mit im Spiel sind; eben das Interesse des Tieres an einem glücklichen Leben vor der Schlachtung.
      Das verstehe ich nicht. Natürlich hatte ein Tier vom Zeitpunkt seiner Empfindungsfähigkeit an immer ein Interesse an einem glücklichen Leben. Was hat das nun mit der Schlachtung zu tun, außer dass sie ja gerade dieses Interesse verletzt?

      Ich muss dich fragen: Bist du ein strikter Abtreibungsgegner?
      Nein. Schwangerschaftsabbrüche lassen sich durch das objektives Abwägen der Interessen eines Embryos im Frühstadium, sofern hier überhaupt schon von Interessen gesprochen werden kann, im Vergleich zu den Interessen der Mutter in diesem moralischen Konzept unter entsprechenden Umständen recht gut legitimieren. Dieses Thema ist allerdings etwas kompliziert, so dass es einen eigenen Blogbeitrag benötigen würde. Ich kann mir durchaus vorstellen, einen solchen bald zu verfassen. Für unsere Diskussion spielt diese Frage vorerst ohnehin keine Rolle.

      An dieser Stelle möchte ich nochmals betonen, dass eine völlige moralische Gleichstellung von Mensch und Tier lebensfremd ist, weil Mensch und Tier einfach nicht faktisch gleich sind.
      Du hast den Kern meiner Ausführungen nicht verstanden. Die faktische Gleichheit ist eben gerade keine Voraussetzung für die moralische Gleichheit. Es geht um die gleiche Bewertung von Interessen, wenn, und wirklich auch nur genau dann, wenn ebendiese vom Potential der dahinterstehenden Empfindung her selbst gleich sind.

      Mit was ich nicht konform gehe ist eine völlige und absolute Gleichstellung dieser Rechte, sodass sie in ihrer praktischen Handhabung auf eine Stufe mit der des Menschen gestellt werden.

      Davon war auch nie die Rede. Einem Tier das Wahlrecht zuzusprechen, wäre völlig absurd, denn ein Tier hat ja gar kein Interesse an einem solchen Recht. Einem Tier das Recht auf Freiheit von köperlichem Leid zuzusprechen, ist hingegen alles andere als absurd. Davon ausgehend, dass dieses Interesse bei manchen Tieren genauso ausgeprägt ist wie das entsprechende Interesse von Menschen, sollte auch der rechtliche Schutz derselbe sein.

      Und genau so, wie wir in gewissen Fällen das menschliche Interesse an Leben kompromittieren können, wenn anderweitige Interessen entgegenstehen (selbst, wenn diese Interessen weniger wert sind!), sollten wir auch das Interesse am Leben von Tieren kompromittieren können.

      Ich teile diese Auffassung nicht, ebensowenig beim Mensch wie beim nichtmenschlichen Tier.

      Sondern, weil mir die Aussage sauer aufstößt, dass ein Mensch, welcher sein Verhalten auf vernünftigen Überlegungen basieren lässt zu dem Schluss kommen MUSS, der Konsum von Fleisch sei unethisch.
      Der Konsum von Fleisch zu Zwecken der Befriedigung des Bedürfnisses nach dem guten Geschmack ist stets unethisch, ja. Ich denke, diese Auffassung nachvollziehbar argumentiert zu haben. Natürlich respektiere ich, dass Du nach wie vor anderer Meinung bist. Falls Du aber noch Interesse hast, möchte ich Dich dazu einladen, meine Artikel etwas genauer zu lesen und aufrichtig zu versuchen, die hinter dem Prinzip der moralischen Gleichheit stehenden Überlegungen zu verstehen. Das scheint Dir doch noch nicht gänzlich gelungen zu sein.

      Jedoch ist prinzipiell eine Konstellation vorstellbar, in der ein Mensch nicht hirntot ist, seine Hirnfunktionen aber so weit eingeschränkt sind, dass er nicht mehr zur Wahrnehmung von Glück oder Leid in der Lage ist.
      Ich glaube schon, dass mit der gänzlichen und irreversiblen Empfindungslosigkeit auch der Hirntod eines Menschen einhergeht. Allerdings bin ich kein Neurologe. Jedenfalls habe ich wie gesagt die Ansicht, dass sich beim Vorhandensein einer Hirnaktivität die Empfindungslosigkeit nicht zweifelsfrei feststellen lässt, weshalb diese Überlegung überflüssig wird.

      Liebe Grüße
      Mahiat

  4. Diomedes permalink

    Hallo,

    wenn Mensch und Tier aber eben nicht faktisch gleich sind, wieso gehst du dann automatisch davon aus, dass sie Interessen gleichen Potentials haben?

    Und: wenn du diese Auffassung (von der Möglichkeit der Kompromittierung des Interesses am menschlichen Lebens) nicht teilst, dann kann ich deine Rechtfertigung der Abtreibung schwer nachvollziehen. Gehen wir der Einfachheit halber davon aus, dass das Nervensystem eines Embryos noch nicht weit genug entwickelt ist, um echte „Interessen“ vertreten zu können. Diese Argumentation verwendest du ja im Prinzip, um Abtreibung zu rechtfertigen. Aber: Das Baby hat ja ein potentielles Interesse an seinem Leben, weil man ja weiß, dass es innerhalb einiger weniger Wochen weit genug entwickelt sein wird, um ein solches Interesse zu haben. Das ignorierst du – denn zum Zeitpunkt der Abtreibungshandlung ist dieses Interesse ja nicht vorhanden, es wäre nur vorhanden, wenn man noch warten würde. Konsequent weitergedacht bedeutet das aber, dass auch die Interessen eines Komapatienten (ausgehend davon, es handelt sich nicht um ein Wachkoma) praktisch nichts wert sind, weil er sie zum Zeitpunkt der potentiellen Handlung (z.B. Abschaltung der Geräte) nicht wahrnehmen kann. Er kann zu diesem Zeitpunkt kein Glück und kein Leid empfinden, genausowenig wie der Embryo.

    • Wenn Mensch und Tier aber eben nicht faktisch gleich sind, wieso gehst du dann automatisch davon aus, dass sie Interessen gleichen Potentials haben?
      Der faktische Vergleich ist für dieses Prinzip absolut bedeutunglos. Menschen sind auch nicht faktisch gleich. Dennoch kann das Interesse des einen, seinen Appetit zu befriedigen, vom Potential her dem Interesse eines anderen gleichen, der übermüdet ist und schlafen will; dies ist eben dann der Fall, wenn das Interesse des einen im selben Ausmaß Glück und Leid befördert wie das Interesse des anderen. Nur und einzig und allein das spielt in einem entsprechenden Interessenskonflikt eine Rolle; nicht aber, von welcher Gestalt die Interessen sind oder welche faktischen Merkmale ihre Träger haben. Das ist gerade der Punkt, den ich hier erläutern will.

      Gehen wir der Einfachheit halber davon aus, dass das Nervensystem eines Embryos noch nicht weit genug entwickelt ist, um echte “Interessen” vertreten zu können. Diese Argumentation verwendest du ja im Prinzip, um Abtreibung zu rechtfertigen.
      Die Rechtfertigung ist, wie erwähnt, schon etwas komplizierter, und zwar aufgrund des Punktes, den Du angesprochen hast. Zuerst muss man deutlich sagen, was man unter den für einen Konflikt relevanten potentiellen Interessen verstehen möchte. Das könnten etwa jene sein, die ein in den Konflikt involviertes Wesen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht hat, die es aber in einem gewissen Zeitraum erlangen würde, sodass die Konsequenzen der Lösung des Konfliktes voraussichtlichen Einfluss darauf nehmen würden.
      Derartige potentielle Interessen sollten dann berücksichtigt werden, allerdings unter den entsprechenden Gesichtspunkten. So ist es nämlich etwa im Falle eines Schwangerschaftsabbruches unmöglich, solche Interessen im eigentlichen Sinne zu verletzen, also in dem, dass der Embryo durch eine Nichtbeachtung leiden muss. Das wirkt sich in Folge erheblich im Prozess des Abwägens der Interessen aller beteiligten Parteien aus, der sich ja an den resultierenden Empfindungen orientiert.

      Soviel dazu in aller Kürze. Da die nähere Schilderung dieser Problematik wie gesagt recht umfangreich ist, möchte ich es gerne dabei belassen. Ich habe vor, das in einem meiner nächsten Blogbeiträge zum Thema Schwangerschaftsabbrüche näher zu erläutern. Es würde mich freuen, diese Diskussion dann gegebenenfalls dort fortzusetzen.

      Liebe Grüße
      Mahiat

  5. Diomedes permalink

    Hallo,

    Ich verstehe immer noch nicht, inwiefern du das Ausmaß eines Potentials eines Interesses bestimmst, wenn du faktische Unterschiede dabei völlig außenvor lässt. Es gibt faktische Unterschiede zwischen einem Mensch und einem Huhn, und es gibt faktische Unterschiede zwischen einem Mensch und einer Heuschrecke. Beide sind erheblich. Dennoch sagst du sinngemäß, dass ein Huhn (trotz der Unterschiede) dem Menschen (vom Potential seines Interesses am Überleben) völlig gleichgestellt sein soll, wohingegen der Käfer insofern in Relation dazu fast gar kein zu berücksichtigendes Interesse am Überleben hat. Für mich wirkt es so, als würdest du eher das Interessenspotential eines Lebewesens anhand deiner moralischen Ansichten (gefühlsmäßig) bewerten, anstatt deine moralischen Ansichten an dem Interessenspotential auszurichten. Dass nämlich das Interesse eines Schlachtviehs potentiell gleich viel Glück oder Leid befördern kann wie das eines Menschen, ist sehr wohl von faktischen Eigenschaften seines Trägers abhängig.
    Du hast in diesem Zusammenhang z.B. schon einmal von der Ausprägung des Nervensystems als Faktor gesprochen – ist das keine faktische Eigenschaft des Trägers?

    Zum Embryo-Beispiel möchte ich dann noch erläutern, worin ich die Signifikanz dieses Themas für diese Diskussion sehe: Du sprichst hier meist allgemein von einem Potential eines Interesses, Glück und Leid zu befördern. Ich habe zu diesem Konzept im Hinblick auf deine vorher dargelegte Einstellung zum Thema Abtreibung und Sterbehilfe einige Fragen. Diese möchte ich aber aus Verständnisgründen erst stellen, nachdem ich verstanden habe, wie du einerseits sagen kannst, faktische Unterschiede spielen bei der moralischen Gleichheit keine Rolle, andererseits aber das Potential des Überlebensinteresses verschiedener Tiere (z.B. Huhn und Käfer) anhand von faktischen Merkmalen (namentlich der Ausprägung ihres Nervensystems) und daher auch auf Basis faktischer Unterschiede unterschiedlich beurteilst.

    • Dennoch sagst du sinngemäß, dass ein Huhn (trotz der Unterschiede) dem Menschen (vom Potential seines Interesses am Überleben) völlig gleichgestellt sein soll
      Ein Huhn soll einem Menschen im Sinne des Prinzips moralischer Gleichheit ethisch gleichgestellt sein, ja. Das Interesse eines bestimmten Huhnes am Überleben soll dem Interesse eines bestimmten Menschen am Überleben allerdings nicht notwendigerweise gleichgestellt sein. Meine Ansicht nochmals zu erklären fällt mir schwer, weil ich mittlerweile das Gefühl habe, mich in jedem Kommentar zu wiederholen und ich nicht mehr weiß, auf welche andere Weise ich meine Sichtweise noch formulieren soll. Ich probiere es ein letztes Mal, dann sollten wirs wohl gut sein lassen.

      Grundlegend für das Bewerten von Interessen ist deren Potential, Empfindungen von Glück und Leid zu befördern. Auf diese Weise sollten Interessenskonflikte gelöst werden. Gehen wir davon aus: Seien ein Individuum A mit Interesse X und ein Individuum B mit Interesse Y. Nun stehe X in Konflikt zu Y, es können also nicht beide Interessen befriedigt werden, sondern nur eines. Weiters habe X in obigem Sinne ein höheres Potential als Y. Dann ist nach dieser Auffassung dem Interesse X Vorrang zu geben.
      Ich habe ganz bewusst Variablen und kein konkretes Beispiel zur Veranschaulichung verwendet, um noch einmal den Hauptgedanken deutlich zu machen: dass es nämlich absolut keine Rolle spielt, wer A ist und wer B, wie X beschaffen ist und wie Y. Faktische Merkmale der Träger der Interessen oder die Beschaffenheit der Interessen selbst sind unwichtig. Allein das Potential, Glück und Leid zu befördern, ist Grundlage für die Bewertung.

      Betrachten wir nun meinetwegen die Ausprägung einer Empfindung als faktisches Merkmal eines Individuums, dann ist es eben das einzige, dass in diesen Fragen von Belang ist. Ich habe ihm rein begrifflich in unserer Diskussion einen besonderen Status eingeräumt, weil die Empfindungsfähigkeit, wie Peter Singer schreibt, im Gegensatz zu allen anderen Eigenschaften die Grundvoraussetzung ist, um überhaupt Interessen haben zu können. Und wie ich mehrfach argumentierte, ist es die einzig vernünftige Richtlinie für unsere Bewertung derselben. Wer diese Auffassung nicht teilt, der soll erklären, welche anderen faktischen Merkmale er für moralisch relevant hält und warum.

      Das Interesse, das ein bestimmtes Huhn an seinem Leben hat, und das Interesse, das ein bestimmter Mensch an seinem Leben hat, sollen also nach dem Potential der beförderten Empfindungen abgewägt werden. Ebenso müssen die Interessen von Dritten miteinbezogen werden. Interessenskonflikte müssen außerdem schon ihrem Wesen nach stets individuell behandelt werden. Das Interesse einer Spezies am Leben gibt es nicht. Es ist von Individuum zu Individuum unterschiedlich. Schlussendlich kommt man in Abwägung all dieser Faktoren dann zu einer Entscheidung, welchem Interesse bei einem etwaigen Konflikt der Vorrang gegeben werden soll.

      Ich hoffe, dass nun die Missverständnisse ausgeräumt wurden. Gleichbehandlung von Interessen heißt nicht, sie völlig gleichzustellen und allen die Befriedigung zuzugestehen. Es heißt, sie alle auf dieselbe, einzig vernünftige Weise abzuwägen, und dann gegebenenfalls sehr wohl auch zu dem Ergebnis zu kommen, dass dem einen der Vorrang einzuräumen ist und dem anderen nicht.

      Liebe Grüße
      Mahiat

  6. Diomedes permalink

    Hallo,

    du schreibst, dass die Ausprägung der Empfindung das einzige faktische Merkmal ist, das es zu beachten gilt. Das ist in der Theorie vielleicht der richtige Ansatz, in der praktischen Anwendung aber schwer umsetzbar, denn ich weiß nicht, wie man die Ausprägung einer Empfindung messen könnte. Wir können also nicht einfach so bestimmen, ob X=0.9832 und Y=0.8112 ist; vielmehr müssen wir andere Faktoren heranziehen, um diese Ausprägung zumindest annähernd vergleichen zu können, oder nicht? Und dieser Vergleich muss notgedrungen auf dem Vergleich faktischer Eigenschaften basieren, denn alles andere wäre willkürlich.
    Daher verstehe ich nicht, wie du faktische Unterschiede außenvor lassen möchtest, wenn doch die Ausprägung der Empfindung ein Resultat aus diversen faktischen Eigenschaften ist, und nicht für uns direkt messbar.

    • Dass die Ausprägungen der Empfindungen von Glück und Leid in irgendeiner Form quantifizierbar sind, ist in der Tat eine Voraussetzung für diese Auffassung, über die wir bisher noch nicht gesprochen haben. Es lässt sich schnell rechtfertigen, dass es vernünftig ist, grundsätzlich davon auszugehen. Das Abwägen von Empfindungen ist nämlich genau die Art und Weise, auf die wir unsere persönlichen Interessenskonflikte lösen. Wir stellen uns bei Entscheidungen vor die Frage, mit welcher Alternative wir (oder auch andere) zufriedener sein würden, und gehen also ganz intuitiv von der Möglichkeit aus, mehr oder weniger zufrieden mit einer Lösung sein zu können.

      Zur Frage, auf welche Weise sich die Ausprägung einer Empfindung theoretisch und praktisch messen lässt, gibt es mehrere mögliche Antworten. Ich vertrete im Bezug auf das Leib-Seele-Problem die Ansicht eines materialistischen Monisten und bin daher der Meinung, dass psychische Phänomene auf physikalisch, chemisch oder biologisch erklärbare, kausale Prozesse zurückführbar sind. Wenn Ausprägungen von Empfindungen in diesem Sinne nichts anderes bedeuten als etwa unterschiedlich starke hormonelle Ausschüttungen, dann lassen sie sich wenigstens in der Theorie durchaus messen und sogar als Zahl ausdrücken. In der Praxis sind wir dazu natürlich keineswegs imstande. Wir können uns jedoch an direkten Indikatoren für die Empfindungsfähigkeit orientieren, zum Beispiel an der von mir erwähnten Entwicklung des Nervensystems. Nach unserem naturwissenschaftlichen Verständnis sollten wir bei manchen nichtmenschlichen Tieren demnach davon ausgehen, dass sie in einem mit unserem Empfinden vergleichbaren Ausmaß dazu fähig sind, Schmerzen zu fühlen.

      Es mag in gegebenen Situationen andere direkte Indikatoren für die Empfindungsfähigkeit geben. Versteh‘ das allerdings nicht falsch: Das ändert ja nichts daran, dass allein die Ausprägung der Empfindungen das Grundkriterium der Entscheidung bleibt. Wir orientieren uns nur aufgrund unserer beschränkten Möglichkeiten oft an dem, von dem wir berechtigterweise ausgehen, dass die Empfindungsfähigkeit direkt davon abhängt. Dabei müssen wir allerdings vorsichtig sein*: das sind nämlich nicht das kognitive Leistungsvermögen, die Körpergröße, die Anzahl der Beine, die Körperbehaarung, die Hautfarbe oder das Geschlecht. Es ist erst recht nicht irgendein Zweck, den man einem Wesen von fremder Hand auferlegt hat. Es sind die von Individuum zu Individuum verschiedenen psychischen Konstitutionen und Zustände eines Wesens, die in eine (wissenschaftlich) gerechtfertigte kausale Verbindung mit den Empfindungen gebracht werden können, und darüber hinaus nichts.

      Um den Kreis zu schließen und zu unserem Ausgangsproblem zurückzukehren:
      Die meisten Interessenskonflikte lösen sich, wenn alle Parteien ehrlich zu sich sind, recht rasch. Um zu erkennen, dass das Interesse nach dem guten Geschmack und dem Luxus der gewohnten Ernährung in keiner Relation zu den existentiellen Anliegen unzähliger Tiere steht, dafür braucht es obige Überlegungen eigentlich gar nicht.

      *Und genau das sind die meisten Menschen nicht. Der Speziesist ist sozusagen ein Paradebeispiel dafür.

      Liebe Grüße
      Mahiat

  7. Diomedes permalink

    Hallo,

    “ Nach unserem naturwissenschaftlichen Verständnis sollten wir bei manchen nichtmenschlichen Tieren demnach davon ausgehen, dass sie in einem mit unserem Empfinden vergleichbaren Ausmaß dazu fähig sind, Schmerzen zu fühlen.“
    Ich denke, du machst an diesem Punkt einen radikalen Fehler.
    Mit fällt auf, dass du die Empfindungsfähigkeit zu stark auf den Schmerz reduzierst, wenn es um Leid geht.
    Denn eines ist klar; alle Tiere haben im Vergleich zum Menschen ein vermindertes kognitives Leistungsvermögen. Sie können natürlich trotzdem Schmerz empfinden und auch Angst. Aber: Frage dich einmal, wie oft einfacher körperlicher Schmerz Ursache für dein Leiden ist, und wie oft es andere Faktoren sind. Der absolute Löwenanteil an Leid im Leben eines modernen Menschen hängt nicht mit körperlichem Schmerz, sondern mit seiner Psyche zusammen. Leistungsdruck, irgendetwas zu vollbringen, und ein Minderwertigkeitsgefühl, wenn diese Leistung nicht erbracht werden kann ist ein häufiger Grund für Leid. Auch eine fehlende Akzeptanz in einer sozialen Gruppe, ein Mangel an intimen Beziehungen oder fehlende Erfüllung im Leben geben oft Anlass zu Leid. Ich habe beispielsweise demnächst einen Zahnarzttermin, der mir wesentliche körperliche Schmerzen bereiten wird, weil ich mehrmals gebohrt werden muss. Diese Vorstellung beeinträchtigt mich aber nicht, fügt mir kein Leid zu. Die Vorstellung, eine Seminararbeit aber bis zu einem gewissen Punkt nicht rechtzeitig fertig zu haben, verursacht in mir ganz wesentlichen Stress und dadurch ganz wesentliches Leid, obwohl sie in keinem Zusammenhang zu körperlichem Schmerz steht. Tiere sind nicht zu derartig komplexen Vorstellungen fähig. Daher vom Schmerzempfinden direkt auf das Empfindungsvermögen zu schließen, finde ich entsprechend zu kurz gegriffen.

    Zweitens muss man sich fragen: Entscheidet die Entwicklung des Nervensystems wirklich über das Ausmaß des Leids? Beispiel: Forscher an der University of Toronto haben festgestellt, dass Libellenlarven in der bloßen Anwesenheit von Räubern doppelt bis vierfach so oft sterben wie Libellen in Aquarien ohne Räuber. Damit ist natürlich nicht gemeint, dass sie gefressen werden, sondern dass die bloße Anwesenheit eines räuberischen Fisches eine derart starke körperliche Reaktion in der Libellenlarve verursacht, dass sie deswegen sterben kann. Beim Menschen würde man diese Reaktion Stress oder Angst nennen.
    Höhere Tiere können aufgrund ihres besser entwickelten Nervensystems natürlich höhere kognitive Leistungen erzielen und damit besser logische Verbindungen knüpfen und bis zu einem gewissen Grade auch ausgefeiltere Emotionen und damit auch Leid empfinden können.
    Was ich damit meine ist: Die Fähigkeit, Leid zu empfinden, müsstest du noch genauer definieren. Denn es ergibt sich nicht ohne weiteres, dass das Leid einer Kuh größer ist als das einer Libelle, nur weil erstere ein höher entwickeltes Nervensystem hat, wenn letzere doch offensichtlich viel stärkere körperliche Reaktionen darauf entwickelt.
    Gleichzeitig gibt es aber kein (bei uns verbreitetes) Zuchtvieh, bei dem wir mit unseren Methoden auch nur Anwandlungen von Selbstbewusstsein hätten nachweisen können. Auch diesen Aspekt hast du bis jetzt nicht angesprochen. Die meisten Tiere können nicht vorausschauend denken und planen und sich Gedanken über die Zukunft machen, und die meisten Tiere haben keine bewusste Vorstellung von ihrer Existenz und damit auch keine konkrete „Todesangst“. Sie reagieren lediglich auf äußere Umstände. Wie vorher schon erwähnt, sind diese Reaktionen bei höher entwickelten Tieren natürlich feiner abgestuft, sie können also besser zwischen verschiedenen äußeren Wahrnehmungen unterscheiden. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass das Ausmaß ihres Schmerzes deswegen geringer ist als das eines Käfers, der zerdrückt wird oder dass ihr Stress höherwertiger wäre als der einer Libelle, die aus „Todesangst“ stirbt.

    • Mit fällt auf, dass du die Empfindungsfähigkeit zu stark auf den Schmerz reduzierst, wenn es um Leid geht.
      Das ist doch gar nicht richtig. Natürlich berücksichtigt der beschriebene Prozess des Abwägens von Interessen sämtliche und unterschiedliche Ausprägungen der Empfindungen der Freude und des Leids, darauf habe ich mehrmals hingewiesen. Deine Kritik berührt meine Ansichten nicht.

      Des Weiteren möchte ich Dich nochmals auf den Fehler aufmerksam machen, kognitive Leistungsfähigkeit in eine direkt proportionale Verbindung mit der Ausprägung von Empfindungen zu bringen. Das ist offenkundig falsch. Es ist nicht wahr, dass die Menschen mit einem IQ von 130 Angst oder Stress generell intensiver spüren, als die Menschen mit einem IQ von 70. Würde man konsequent auf diese Weise argumentieren, wäre dies Deiner Position auch gar nicht dienlich. Denn dann müsste man manchen Tieren ein ausgeprägteres Empfindungsvermögen zugestehen als manchen Menschen. Gewisse Affen sind etwa im Bereich der Gedächtnisleistung zu Ergebnissen imstande, die ihnen im Grunde kein Mensch nachmachen kann.

      Damit ist natürlich nicht gemeint, dass sie gefressen werden, sondern dass die bloße Anwesenheit eines räuberischen Fisches eine derart starke körperliche Reaktion in der Libellenlarve verursacht, dass sie deswegen sterben kann.
      Ich kenne die Studie nicht und kann daher dazu nicht viel sagen. Deiner Darstellung entsprechend meine ich aber, dass aus der bloßen physiologischen Reaktion des Ablebens nicht ohne Weiteres auf das Vorhandensein einer damit einhergehenden Empfindung geschlossen werden kann. Auch Pflanzen reagieren auf Veränderungen in ihrer Umwelt, manchmal ebenfalls gehäuft mit dem Tod. Wer sich als Wissenschaftler auf den Posten stellt, dass in Organismen ohne Nervensystem und also auch ohne Gehirn oder hirnähnliche Strukturen komplexe psychische Phänomene stattfinden, der muss für diese These schlagkräftige Belege haben und erklären, woher diese kommen und wie sie funktionieren.

      Die meisten Tiere können nicht vorausschauend denken und planen und sich Gedanken über die Zukunft machen, und die meisten Tiere haben keine bewusste Vorstellung von ihrer Existenz und damit auch keine konkrete “Todesangst”. Sie reagieren lediglich auf äußere Umstände.
      Das ist totaler Unsinn. So etwas kann nur jemand behaupten, der sich in seinem Leben noch nie intensiver und auf eine emotionale Weise mit nichtmenschlichen Tieren beschäftigt hat. Das soll auch kein Vorwurf sein, man kann diese Erfahrungen schließlich nachholen. Aber es zeigt nun endgültig, dass diese Diskussion aufgrund völlig divergierender Grundeinstellungen ins Leere führen muss. Du bist mit deinen Auffassungen natürlich in großer Gesellschaft, durch dein Engagement in dieser langen Debatte vermute ich aber, dass dir das Thema doch auf irgendeine Weise am Herzen liegt. Vielleicht ist das hier ein Anstoß für dich, dich intensiver damit zu beschäftigen. Es würde mich freuen. Darüber hinaus möchte ich dazu gar nicht viel mehr sagen und mit dem Zoologen und Verhaltensforscher Konrad Lorenz schließen.

      „Wer einen Hund oder Affen, ja jedes höhere Säugetier wirklich genau kennt und trotzdem nicht davon überzeugt wird, dass dieses Ähnliches erlebt wie er selbst, ist seelisch abnorm.“

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