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Eine Kritik des Islams

21/08/2017

Seit ich mich mit Philosophie beschäftige, ist meine Religionskritik beständig und von hoher und unveränderter Intensität geprägt. Sie taucht als regelmäßiges Thema in meinen Essays und in meiner Prosa auf. Nach meiner Erkenntnis ist die Argumentations- und Diskussionslage bei keinem interessanten metaphysischen Problem derart klar wie in der Gottesfrage; ja so klar, dass ich mich frage, ob ich dieselbe überhaupt noch zu den interessanten Problemen zählen kann. Ich bin demnach Atheist und könnte mit guten Gründen auch als Antitheist bezeichnet werden. Religiöse Erziehung halte ich für schädlich in seiner Auswirkung auf die moralische, emotionale und kognitive Entwicklung von Kindern. Hier erklär ich, warum.

Als Europäer darf ich das, unsere Länder haben die Aufklärung genossen. Das Christentum kennt seither seinen Platz in der freien Gesellschaft, es ist gezähmt worden und nicht mehr so gefährlich wie zuvor. Nur aufgrund dieser Zähmung ist es heute möglich, sachliche und rationale Kritik an religiösen Konzepten zu üben, ohne Verfolgung fürchten zu müssen. Nur aufgrund dieser Zähmung ist es heute auch üblich, sich eine derartig kritische Meinung zu bilden. Das Christentum hat sich verändert und ist den Weg gegangen von einer herrschenden zu einer beherrschten Religion, von einer freiheitsberaubenden Macht über die Menschen zu etwas, dem sie sich bemächtigen. Heute nämlich macht mit der Metaphernsammlung Christentum jeder gewissermaßen das, was er persönlich will: annehmen, verwerfen, benutzen, auslegen, verändern. Natürlich missfällt diese unbestreitbare Entwicklung konservativen Beobachtern, doch dafür gibt es keinen guten Grund. Die Menschen dienen nunmehr nicht länger der Religion, die Religion dient den Menschen; und wenn sie unbedingt sein muss, dann soll sie so sein.
Vor einigen Monaten habe ich mich mit Samuel Schirmbecks Buch Der islamische Kreuzzug und der ratlose Westen beschäftigt. Darin plädiert er für eine offene Besprechung der Inhalte und Institutionen des Islams. Vernünftige Religionskritik steht in der Tradition der Aufklärung, weshalb ein solches Plädoyer eigentlich nicht notwendig sein dürfte. Die Islamophobie rechter Politiker hat jedoch dazu geführt, dass eine Differenzierung zwischen inhaltlichem Diskurs und menschenfeindlicher Hetze in Europa vielerorts nicht mehr vorgenommen wird. Schirmbeck, der als ARD-Korrespondent selbst zehn Jahre lang in Algier gelebt hat, beschreibt die Absichten seiner Ausführungen deshalb umsichtig gleich zu Beginn des Buches:

„Islamkritik bedeutet mitnichten, Muslime anzugreifen, sondern Schutz vor seinen menschenverachtenden Auswüchsen, die sich gegen Frauen, Homosexuelle, gegen eigenständig Denkende und sogenannte Ungläubige richten – also auch gegen Millionen von Musliminnen und Muslimen.“
[…]
„Dieser Islam in seinem jetzigen Zustand gehört nicht zu Deutschland und zu Westeuropa, die Muslime aber sehr wohl. Sie haben ihn nicht erfunden, sie sind nicht für die Islamverbände verantwortlich, die ihn vertreten, sie haben oft ihren eigenen Islam, der abseits der Dogmen ein eigenes, privates, kleines, säkulares Gärtchen duldet, […]“

Daraufhin erläutert er seine auf persönlichen Erfahrungen und Recherchen beruhenden Erkenntnisse über den Islam und seine Auswirkungen auf den Alltag. Er kritisiert etwa, dass die haram-Dogmatik oftmals alle Lebensbereiche durchdringt. „haram“ ist ein Adjektiv und bezeichnet verbotene Handlungen und Objekte, etwa Alkohol, vorehelichen Sex, Kleidungsnormen oder den Genuss gewisser Vergnügungen; es gibt eine Debatte darüber, ob Musik zu ihnen zu zählen ist oder nicht. Unnötig ist es zu erwähnen, dass diese Verbote die Lebensqualität der Menschen stark einschränken. Laut Schirmbeck sind sie aber auch deshalb problematisch, weil sie keine Ambivalenz zulassen und das kritische und eigenständige Denken verhindern sollen.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Unterscheidung zwischen Gläubigen und Ungläubigen im Koran. Besonders in den Suren 8 und 9 ist wiederholt von Krieg und Gewalt gegen Ungläubige die Rede. Sure 4, Vers 144 verbietet Muslimen die Pflege von Freundschaften mit Ungläubigen. Schirmbeck stellt die Frage, wie Integration in Anbetracht dieser Verse möglich sein soll und lässt den Einwand nicht gelten, dass sie ebenso wie die dunkleren Passagen der Bibel in einem bestimmten historischen oder textuellen Kontext zu lesen seien. Im Unterschied zum heutigen Christentum ist im Islam die Forderung nach der wortwörtlichen Auslegung des Korans als direktes Wort Gottes noch weit verbreitet. Schirmbeck sieht es als ein Versäumnis der Islamverbände an, sich nicht deutlich genug von solchen Forderungen und der Diskriminierung Ungläubiger zu distanzieren.
Im Buch findet sich eine Vielzahl von Verweisen auf Denker, Philosophen und Dissidenten muslimischer Herkunft. Schirmbeck nennt sie die Voltaires Nordafrikas und vermisst eine europäische Solidarität mit ihrem Bestreben für einen offeneren und menschenfreundlicheren Islam: Fethi Benslama, Abdennour Bidar, Chahla Chafiq, Soheib Bencheikh, Abdelwahab Meddeb, Kamel Daoud,… keiner dieser Namen war mir vor der Lektüre bekannt, und doch geht von ihnen und vielen anderen Menschen eine Bewegung aus, die größte Aufmerksamkeit und Unterstützung verdient hat. Dazu zählt auch Seyran Ates mit ihrer vor einiger Zeit gegründeten Rushd-Goethe-Moschee in Berlin, in der die Menschen ungeachtet ihres Geschlechts und ihrer religiösen oder sexuellen Orientierung willkommen sind. Laut Ates haben Terroranschläge wie jene in Barcelona „durchaus etwas mit dem Islam zu tun“. Viele der oben erwähnten Autoren stimmen darin überein, dass Islamismus als Teil des Islams eine Tatsache ist. In ihren Schriften üben sie scharfe Kritik an seiner politisch-ideologischen Ausprägung, über die Schirmbeck schreibt und die in vielen muslimischen Staaten herrschende Realität ist. Wer sich in Europa für eine Erneuerung und Modernisierung des Islams einsetzt, muss allerdings mit Gegenwind der Islamverbände rechnen. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster, schrieb in seinem Buch Gott ist Barmherzigkeit Folgendes:

„Das Kriterium der Religiosität ist nicht die Zahl der Gebete, die Länge des Bartes oder das Tragen eines Kopftuches, auch nicht, ob man sunnitisch oder schiitisch ist, ob man zu dieser oder jener Denkschule gehört. Das Kriterium ist, ob man an die Würde, die Freiheit und die Vernunft des Menschen glaubt – also an das Menschsein.“

Ferner kritisiert auch er die Unterscheidung von Gläubigen und Ungläubigen und lehnt es ab, sich Gelehrten und Traditionen bedingungslos zu unterwerfen. Die vier größten Islamverbände Deutschlands erklärten nach der Publikation des Buches, Khorchide bewege sich nicht auf dem Boden islamischer Theologie. Sie versuchten, seine Absetzung zu erreichen.

Aufklärerische Revolutionen gehen nicht von Institutionen, sondern von den Menschen aus. Es wird höchste Zeit, dass Europa selbstbewusst in deren vernünftige Kritik miteinstimmt und den konservativen Islamverbänden nicht länger den Rücken deckt. Schirmbeck spricht im Bezug auf die Flüchtlingsbewegung von einer großen Chance und meint damit die Möglichkeiten, die sich durch den interkulturellen Austausch ergeben. Vorurteile und falsche Vorstellungen werden abgelegt, aufklärerische Tendenzen werden befeuert; das ist seine Hoffnung.
Dieser Appell richtet sich meines Erachtens insbesondere an Menschen, die – wie ich – Atheisten und Religionsgegner sind. Unsere Schwierigkeiten mit dem Christentum in Europa sind heutzutage beinahe überwunden, unsere Diskussionen über Religion sind oftmals akademischer Natur und unvergleichbar mit den Problemen, denen muslimische Dissidenten ausgesetzt sind. Sie kämpfen für ein schöneres, freieres Leben, und werden dafür manchmal mit dem Tod bestraft.

Liebe Grüße
Mahiat

2 Kommentare
  1. Ach naja, ich wäre echt nicht zu stolz auf die europäische Aufklärung. Da ist noch viel zu tun.

    • Stolz bin ich gewiss nicht auf sie, ich habe ja nichts zu ihr beigetragen. Aber Europa ist unbestritten eines der lebenswerteren Plätzchen dieser Erde, und das hängt auch mit seiner Aufklärung zusammen.

      Dass noch immer viel zu tun ist, stimmt definitiv. Die wenigsten Menschen in Europa sind etwa moralisch aufgeklärt. Die meisten vertrauen in ihren Urteilen bestimmten Autoritäten (Personen, Religionen, Gesetzen) und benutzen nicht ihren eigenen Verstand. Ein besonders trauriges Beispiel dafür hat der bekannte Physiker Werner Gruber in einer Puls4-Diskussionssendung abgegeben:


      (bis 33:10)

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