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Zum Schaden durch religiöse Erziehung

09/01/2015

In den Wirren der letzten Tage ist viel über das Recht gesprochen worden, sich über den religiösen Glauben lustig zu machen. Die Diskussion um den moralischen Status religiöser Gefühle und um die Möglichkeit, diese mit den Mitteln der Kunst zu provozieren, muss geführt werden und kann im Sinne einer aufrechten Reaktion Europas nur ein Resultat haben. Doch nun ist nicht der Zeitpunkt für Provokation. Nun ist der Zeitpunkt für eine vernünftige Religionskritik. Es kann keinen Besseren geben.

Islamistische Extremisten, die zu Gewalttaten bereit sind, müssen entschieden von jenen Muslimen unterschieden werden, die ihre Religion friedlich praktizieren. Wer diese Unterscheidung nicht vornimmt und jeden muslimischen Mitmenschen als gefährlich betrachtet, liegt nicht nur offenkundig falsch, er trägt auch einen großen Teil zur Beförderung der Konflikte bei.
Nichtsdestotrotz müssen wir den Mut für die ehrliche Besprechung der Frage finden, aus welchem Grund es möglich ist, derartige Massen von jungen Menschen zu radikalisieren. Dabei werden wir an der Feststellung nicht vorbeikommen, dass islamistische Extremisten auch Muslime sind; und dass dies ein relevantes Faktum ist, weil sie ihre Taten aufgrund ihrer religiösen Überzeugung begehen. Für die meisten Gläubigen ist es unbegreiflich, dass jene Symbolik und Rituale, aus denen sie selbst derart großen persönlichen Nutzen ziehen und die ihnen den Willen verleihen, eine gute Kraft in dieser Welt zu sein, auch eine Interpretation finden können, die eine ganz andere Wirkung auf den menschlichen Geist ausübt. Sich von diesen Geistern zu distanzieren, sie als krank zu deklarieren und sich damit schützend vor die Religion zu stellen, ist derzeit ein gängiges und verständliches Verhalten, das sogar eingefordert wird. Doch dadurch sind wir in der Besprechung der oben gestellten Frage keinen Schritt weitergekommen. Im Folgenden möchte ich meine Auffassungen erklären.

Religiöser Erziehung wohnt ein Schadenspotential inne, das direkt aus der Wurzel wächst. Es hat nämlich weniger mit ihren Inhalten zu tun, zu denen ich mich in diesem Artikel nicht äußern werde, sondern vielmehr mit der Art und Weise des Denkens, die durch sie befördert wird. Der Inbegriff des aufgeklärten Denkens ist es, sich dem eigenen Verstand zu bedienen, jede Behauptung zu hinterfragen und ihre Rechtfertigung auf Vernünftigkeit zu prüfen. Der Inbegriff des religiösen Denkens ist die Orientierung an Autoritäten und an den Dogmen der Religion. Diese beiden Denkformen können im kollektiven Bewusstsein, ja sogar in ein und derselben Person konfligieren oder auch koexistieren und eine Mischform annehmen. In säkularen Staaten, in denen die Aufklärung vorangeschritten ist, ohne die Religion gänzlich zu verdrängen, kommt das häufig vor. In weiten Teilen der Welt ist aber das religiöse Denken in der Bevölkerung verbreitet.
In der Schule erlernt man den Umgang mit Fragen der Moral hierzulande höchstens nebenbei im Religionsunterricht. Dort wird ein dogmatisches Konzept präsentiert und besprochen, nämlich die christliche Ethik, die uns wenigstens in Form der zehn Gebote in Erinnerung bleibt. Eines davon lautet: „Du sollst nicht töten.“ Und wir akzeptieren das als Kinder natürlich. Doch warum sollen wir eigentlich nicht töten? Weil es in der Bibel steht? Weil das Gesetz es verbietet? Für viele Menschen ist das Gebot eine derartige Selbstverständlichkeit, dass sie es seltsam, ja geradezu anmaßend finden, eine solche Frage zu stellen. Auch hierzulande werden die wenigsten darauf spontan eine rein vernünftige Antwort geben können, die sich nicht auf Autoritäten oder Dogmen bezieht. Wir lernen Ethik nicht als die Theorie kennen, die sie ist, nicht als etwas Plastisches, das philosophischer Diskussion zugänglich ist, sondern im Sinne des Inbegriffs religiösen Denkens. Und nun kommt mein Punkt: Ansichten, die mit dem Verweis auf Autoritäten und Dogmen begründet werden, stehen auf losem Fundament. Jeder Mensch, der sich in seinen moralischen Auffassungen vornehmlich nach solchen Kriterien richtet, ist stark beeinflussbar, erliegt rascher seinen Affekten, ist auch neuen Autoritäten und entsprechend auch anderen Auslegungen leichter zugänglich, ist radikalisierbar.

Ein erster Schritt, um diesem Umstand zu begegnen, muss die Schaffung eines verpflichtenden Ethikunterrichtes sein, der allen Schülern ungeachtet ihrer Weltanschauung eine aufgeklärte Denkweise im Umgang mit moralischen Fragen beibringt. Ethik muss in unserem Bildungssystem endlich den Status einer philosophischen Disziplin erhalten, die im Angesicht der sozialen und ökologischen Tragweite unseres Handelns als Konsumenten und als politische Bürger enorme gesellschaftliche Relevanz hat. Die Religion kann dies nicht leisten. So wichtig sie offenkundig für die Gestaltung des persönlichen und privaten Lebens gläubiger Menschen ist, so ungeeignet ist sie für die moralische Erziehung unserer Kinder in dieser komplizierten Welt. Wer dies nicht zugesteht, fügt unserer Gesellschaft nachhaltigen Schaden zu, dessen Ausmaß noch gar nicht einzuschätzen ist.

Liebe Grüße,
Mahiat

From → Betrachtungen, Ethik

4 Kommentare
  1. Warum das alles?
    Irgendwie enden meine Gedanken wieder bei der Angst und der Suche nach Sicherheiten.
    Umso unrealistischer die Stange, an der ich mich aufgrund dieser Angst halte, ist, desto besser eignet sie sich, weil kein Argumentieren mehr möglich und damit auch nicht nötig ist.
    Daher neben Folgen der Angst wie Fremdenhass oder Intoleranz auch Religion, mit möglichst widersprüchlichen und unglaublichen Aussagen und Regeln.
    „Fürchte dich nicht“, dieses Gotteswort aus der Bibel kenne ich noch aus meinem Religionsunterricht;
    Fürchte dich nicht und schick den Pfarrer zum Teufel 😉

    • Die Suche nach Sicherheiten, der Wunsch nach einfachen Regeln für die Lebensführung und Ängste sind häufig eine Motivation für das Vertrauen in Religionen. Ich denke, dass dabei die Angst vor dem Tod und vor den Vorstellungen des Jenseits eine besonders wichtige Rolle spielt.

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