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Zur Zeit

10/04/2012

Im Bezug auf meinen letzten Artikel zum Geld möchte ich mich heute mit der Zeit beschäftigen. Man kann sich fragen, weshalb ich diese Begriffe im wechselseitigen Zusammenhang betrachte. Wohl aber fast jeder wird das Sprichwort „Zeit ist Geld“ kennen, und daher ist es nichts Neues, dass sich bei einem Vergleich der beiden, wie ich ihn heute anstellen will, zahlreiche Parallelen finden lassen.

Neben all unseren Sorgen betreffend finanzieller Sicherheit plagen uns oft quälende Gedanken um die uns zur Verfügung stehende Zeit, und es ist nicht verwunderlich, dass beinahe jeder, gleich wie beim Geld, häufig der starken Überzeugung ist, zu wenig davon zu haben. Und dennoch ist die Zeit darüber hinaus auch ein Sinnbild für ein von mir im letzten Beitrag beschriebenes Phänomen. Uns ist einleuchtend, dass die Wertigkeit einer Sache davon abhängt, wieviel uns von ihr zur Verfügung steht. Steht uns zuviel Zeit zur Verfügung, müssen wir beispielsweise auf etwas warten, so langweilen wir uns, haben wir hingegen zu wenig, so stehen wir unter Stress. Die erste Parallele lässt sich also darin ziehen, dass die Bedeutung von Zeit mit der des Geldes auf diese simple Weise verglichen werden kann. Außerdem wird deutlich, dass der Wert von Zeit ebensowenig an einen objektiven Maßstab festgemacht werden kann, wie der Wert von Geld. Es gilt die Regel: Wer mehr hat, der schätzt den Wert derselben Sache im Verhältnis geringer ein.
Die nächste Parallele besteht darin, dass Zeit- und Geldsysteme für das Zusammenleben in einer zivilisierten Gesellschaft von großem Nutzen sind. Während das eine System dazu dient, sich gegenseitig abzustimmen und Treffen und gemeinsame Tätigkeiten zu koordinieren, ist das andere für einen effizienten und komfortablen Handel unerlässlich. Sich ein Leben ohne Geld vorzustellen mag gewiss nicht allzu schwierig sein. Auf einen derartigen Gedankengang habe ich im letzten Artikel bereits verwiesen. Nun möchte ich Sie aber zu dem Versuch einladen, sich ein Leben ohne Zeit vor Augen zu führen. Stellen Sie sich vor, dass Sie in eine Gesellschaft geboren wurden, die diesen Begriff nicht kennt und für die auch das, was er bezeichnet, keinerlei Bedeutung hat. Sie kennen keine Uhr, keinen Terminkalender, Sie wissen nichts von Wochentagen, und von Monaten haben Sie noch nie gehört. Sie wissen nicht, wie alt Sie sind, denn Sie kennen auch den Begriff des Jahres nicht. Stellen Sie sich vor, wie Sie jeden Morgen aufstehen und die Sonne dabei beobachten, wie sie über die fernen Berge steigt. Sie verbringen den Tag im Bewusstsein, dass die Sonne wieder untergehen wird, denn Ihr Gedächtnis sagt Ihnen, dass dies niemals anders gewesen ist. Sie werden Ihrer gewohnten Arbeit nachgehen. Jedoch tun Sie dies nicht bis zu einer bestimmten Zeit, sondern so lange, bis es dunkel wird, bis Sie fertig sind oder zu erschöpft, um weiter zu machen. Natürlich haben Sie eine Vorstellung von dem, was unter Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verstanden wird, denn durch Ihre Erfahrung ist Ihnen klar, dass etwas war, dass etwas ist und dass etwas sein wird. Doch die Zukunft ist für Sie von geringer Bedeutung, die Vergangenheit ist nur Erinnerung. Wenn Sie sich auf etwas vorbereiten, dann nur deshalb, weil Sie sich daran gewöhnt haben, dass es sich zyklisch wiederholt.
Diese Orientierung des Menschen an den Naturzyklen ist der Grund, weshalb ein großer Teil unseres Zeitsystems darauf aufgebaut ist. Grob kann man sagen: Ein Tag entspricht einer vollendeten Erdrotation, eine Woche einer Mondphase, ein Monat einem vollendeten Mondzyklus und ein Jahr einer vollendeten Umrundung der Sonne durch die Erde. Die Tages- und Jahreszeiten orientieren sich daran, welche natürlichen Einflüsse sich durch den gegenwärtigen Status des dazugehörigen Naturzyklus ergeben. Morgen, Mittag, Abend, Nacht und Frühling, Sommer, Herbst, Winter, sie alle stehen für die Beschreibung von Zuständen und Einflüssen der Natur. Zu den ersten Uhren zählten jene, die die Sonne und ihr Wechselspiel von Licht und Schatten nutzten, um das Fortschreiten des Tages zu beschreiben. Am Ende dieser Betrachtungen tut sich die Frage auf: Ist Zeit ein Bestandteil dieser Welt, der von lebendem Bewusstsein unabhängig ist, oder sind es nicht wir, die Lebewesen, die die Zeit in die Natur hineinlegen?
Dass die Menschen einen Weg gefunden haben, um Zeit im Sinne einer physikalischen Größe objektiv zu messen, ändert nichts an der Tatsache, dass unterschiedliche Lebewesen sie auf unterschiedliche Weise wahrnehmen. Eine Fliege hat mit hoher Wahrscheinlichkeit ein anderes Gefühl für die Dauer einer Minute, als wir. Und zu Anfang stellten wir ja fest, dass selbst die Menschen die Zeit unterschiedlich bewerten, ja dass ein und derselbe Mensch die Dauer einer bestimmten Zeitspanne je nach Situation auf verschiedene Weise empfinden kann. Auf welche Weise also wäre Zeit in dieser Welt vorhanden, wenn es keine Lebewesen geben würde, die sie erleben könnten? In Form von Prozessen und Abläufen, von Bewegung von Körpern? Als Aneinanderreihung von astrophysikalischen Geschehnissen? Wir Menschen jedenfalls, und damit habe ich mich im Artikel „Zur Wahrnehmung“ beschäftigt, erleben alles in dieser Welt durch den Nebel unserer Sinne und müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir dadurch nur zu beschränkter Erkenntnis fähig sind. Auch das Phänomen „Zeit“ nehmen wir auf eine ganz bestimmte Weise wahr, und unsere Zeitsysteme sind dementsprechend an diese Wahrnehmung gut angepasst. Über das Zeitempfinden anderer Wesen können wir nichts Sicheres sagen.

Zeit- und Geldsysteme spielen in unserem Leben eine große Rolle. Jedoch sollte man sich, und das kann Fazit dieses und des letzten Beitrages sein, weder von dem einen noch von dem anderen abhängig machen. Es ist keine Frage, dass das in unserer Gesellschaft eine schwierige Aufgabe ist. Doch ebenso offensichtlich ist, dass man nicht dadurch glücklich werden kann, sein Leben, seinen Alltag, seine Wünsche und seine Ziele ganz und gar nach Maßstäben auszurichten, die außerhalb des Bewusstseins der Gesellschaft, in der man lebt, überhaupt nicht existieren. Die Systeme sind dazu da, ein Mittel und eine Hilfe zu sein, nicht der Zweck an sich. In diesem Sinne kann man sie nützen und sich ihrer bedienen. Man soll sich darum kümmern, dass man sie soweit zu seinem Vorteil auslegt, dass man möglichst wenig Sorgen hat. Wer aber darüber hinauswill, läuft bereitwillig in einem Hamsterrad, das er sich selbst gebaut hat.

Liebe Grüße,
Mahiat

2 Kommentare
  1. Die die Welt regieren: Angst, Geld, Zeit – finde ich.
    Es ist ein System, dem sich die Gesellschaft vollständig unterordnet. Angst vorm Leben, vor der Existenz, Angst vor Geld- und Zeitmangel. Diese Ängste werden meistens in die Zukunft projiziert – das ist mitunter auch der Grund, warum nur wenige Menschen ein Leben im Hier und Jetzt praktizieren können. Sie tun sich schwer damit, im Hier und Jetzt zu leben, sie haben ständig Angst vor der Zukunft, in der sie vielleicht nicht genügend Geld und/oder Zeit haben würden (das Leben rennt einem davon-Einstellung).
    So können sie es oft gar nicht genießen, was sie im Jetzt haben (ja, jetzt habe ich es zwar, aber wie wird es in Zukunft sein-Einstellung). Zu viele Menschen, die alle Schreckensnachrichten und negative Prophezeiungen in den Medien lesen oder sich anschauen – Tag für Tag, ohne entsprechende Gedankenhygiene – sie sind wie ein Sieb und lassen alles wahhlos durchrasseln.

    Wenn ich eine Schlagzeile oder einen Beitrag höre oder lese, in der/dem diese Worte: „lt. Aussage von irgendwem könnte es…“ – darin vorkommt, dann blättere ich gleich weiter. Wozu ist es gut, die Pferde ständig scheu zu machen? Doch offenbar ist das mittlerweile auch ein Teil des Systems geworden. Mittlerweile bin ich immun dagegen und ich bin froh darüber.

    Liebe Grüße,
    Sunelly Sims

  2. Ja, das sehe ich auch so. Aber wie ich im Artikel bereits sagte: Sich davon zu lösen ist in unserer Gesellschaft eine beinah unmögliche Aufgabe. Wer in ihr leben will, muss sich ihren Regeln und Konventionen in einem bestimmten Ausmaß fügen. Nur liegt ein häufiger Fehler darin, sich ihnen nicht nur zu fügen, sondern ihnen alles aufzuopfern und sich ihnen gänzlich hinzugeben.

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