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Zarathustras Ende

29/10/2015

Zarathustra lebte in einer Höhle am Fuße eines Inselberges, der sich aus sprödem Boden erhoben und ihn dabei ringsherum zerbrochen hatte. Zwischen ihm und den anderen Menschen lag eine breite Schlucht. Wer zu ihm sprechen wollte, musste laut rufen, und Zarathustra musste sich anstrengen, um es hören zu können. Diese Rufe erreichten seine Ohren als leise Widerhalle. Wenn er überhaupt etwas davon verstand, erschien es ihm leer und sinnlos zu sein. Seine Antworten darauf blieben stets ungehört, denn wenn die anderen Menschen miteinander sprachen, verloren sie ihre Achtsamkeit und vergaßen Zarathustra. Also nahm niemand seine Stimme wahr. Keiner von ihnen war an solch halbstumme Worte gewöhnt, an das Echo jenseits der Schlucht, das sich im Lärm ihrer abertausenden Gespräche verlor. Er hingegen saugte jedes Wort auf, das er nur irgendwie vernehmen konnte, und es war das einzige, das er jemals zu hören bekam. Denn seine Seite der Schlucht wurde von einer drückende Stille erstickt, und er lauschte mit geschlossenen Augen. Doch diese große Mühe trieb ihn in eine erzwungene Einsamkeit, und irgendwann zog er sich müde in seine Höhle zurück.
Zarathustra kniete auf dem Boden und hatte den Kopf in seinen Schoß gelegt, da hörte er die Stimmen so laut wie noch nie zuvor. Es waren die Menschen, die wütend seinen Namen riefen. Sie verlangten, ihn zu sehen. Also trat Zarathustra wieder aus der Höhle und sprach zu ihnen. Aber niemand auf der anderen Seite der Schlucht war in der Lage, ihn zu verstehen. Zu laut war das Rauschen in ihren Ohren. Sie wandten sich enttäuscht von ihm ab. Und Zarathustra sprach weiter und lauschte angestrengt, und sprach und lauschte. Doch es half alles nichts, und erschöpft kehrte er ihnen den Rücken zu und ging in die Höhle. Als die Menschen abermals tobten und ihn aufriefen, aus dem Berge zu treten, ignorierte er ihren Wunsch. Daher wurden die Menschen rasend in ihrem Zorn. Sie fällten zwei große Bäume und überwanden die Schlucht. Mit erhobenen Fäusten drangen sie in Zarathustras Höhle vor und fanden ihn, der sich auf dem Boden zusammengekauert hatte und mit den Händen seinen Kopf schützte. Sie schlugen ihn tot, ohne ein einziges Wort mit ihm zu sprechen.

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