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Zum generellen Tötungsverbot

13/12/2014

Dieser Artikel schließt an eine Reihe von Beiträgen an, die sich mit verschiedenen Situationen beschäftigten, in denen das Töten als ethische Handlung diskutiert wird. Gute, und vor allem aus der Politik bekannte Beispiele für solche Themen sind die Sterbehilfe und der Schwangerschaftsabbruch. Ich vertrete in den Artikeln eine recht liberale Einstellung und möchte die Argumentation dafür heute noch weiter ausbauen, indem ich sie nicht im Rahmen einer konkreten Situation diskutiere, sondern im Rahmen der Auseinandersetzung mit einer Sichtweise, die unter jenen, die einer Einstellung wie der meinen sehr kritisch gegenüberstehen, weit verbreitet ist. Es geht um das Prinzip des generellen Tötungsverbotes. Der folgende Beitrag besteht zu großen Teilen aus Hinweisen auf die fehlende Rechtfertigung des damit zusammenhängenden Standpunktes.

Ich beginne mit einem Beispiel, und zwar mit der Diskussion um das Luftsicherheitsgesetz in Deutschland, die vor einigen Jahren stattgefunden hat und als Reaktion auf die Terroranschläge am 11.September 2001 in den USA betrachtet werden kann. Dazu stellen wir uns folgendes, vereinfachtes Szenario vor: Terroristen haben die Gewalt über ein Flugzeug im deutschen Luftraum, in dem sich 300 Passagiere befinden. Man weiß, dass sie auf ein Hochhaus zusteuern, in dem sich 3000 Menschen befinden. Wenn die Terroristen ihr Ziel erreichen, muss man mit dem Tod dieser Menschen rechnen. Es besteht aus zeitlichen Gründen keine Möglichkeit mehr, das Hochhaus zu räumen. Daraus ergeben sich genau zwei Handlungsmöglichkeiten:

1.) Man entscheidet sich dafür, das Flugzeug abzuschießen. Dann sterben die 300 Passagiere. Da noch die Möglichkeit besteht, den Abschuss gezielt über einem bestimmten Gebiet vorzunehmen, darf damit gerechnet werden, dass es in diesem Falle zu keinen Personenschäden am Boden kommen wird.
2.) Man entscheidet sich dafür, das Flugzeug nicht abzuschießen. Dann sterben die 300 Passagiere und die 3000 Menschen im Hochhaus.

Es sei weiters vorausgesetzt, dass es keine anderen Möglichkeiten gibt; nur diese beiden. Die Essenz des Problems in der Form, wie ich es nun betrachten möchte, liegt in folgender Frage: Soll man 300 Menschen töten oder soll man 3300 Menschen sterben lassen? Je mehr man sich dem Gedanken des generellen Tötungsverbotes verbunden fühlt, desto eher neigt man in dieser Frage zu einer passiven Haltung. Es gibt zahlreiche Beispiele für ähnliche Szenarien, die man allgemein auch als moralische Dilemmata bezeichnet. In diesen gibt es zwei Möglichkeiten: Eine bestimmte Handlung durchzuführen oder sie zu unterlassen. Zumeist ist das Problem so formuliert, dass das Handeln zu deutlich günstigeren Konsequenzen führt, die Handlung aber gegen ein anerkanntes moralisches Prinzip verstößt, zum Beispiel gegen das Tötungsverbot.
Menschen mit einer konservativen Geisteshaltung neigen grundsätzlich eher dazu, sich an Prinzipien zu orientieren; darüber hinaus liegt es ihnen auch ferner, diese in einer konkreten Situation in Frage zu stellen. Passiv zu bleiben fühlt sich zudem so an, als würde man an der Situation gar nicht teilnehmen. Das mag eine große Erleichterung für das Gewissen sein, ist aber ein Fehlschluss. Niemand kann befriedigend erklären, warum es a priori moralisch verschieden zu bewerten ist, ob ich eine Handlung durchführe oder ob ich eine Handlung unterlasse. Worin liegt eigentlich der moralische Unterschied zwischen dem Töten und dem Sterbenlassen? Wenn es uns ein Einfaches wäre, einem anderen Menschen das Leben zu retten, und durch das absichtliche Unterlassen der Handlung stirbt dieser Mensch, wird unsere Rechtfertigung kaum lauten: „Ich habe ihn doch nicht getötet. Ich habe ihn lediglich sterben lassen.“ Ist das absichtliche Unterlassen einer lebensrettenden Hilfeleistung tatsächlich weniger moralisch verwerflich, als das absichtliche Töten? Im moralischen Kern sind beide Entscheidungen von exakt derselben Form: Ich kann zwischen zwei Alternativen A und B wählen. Entscheide ich mich für A, lebt der Mensch. Entscheide ich mich für B, stirbt er. Haben wir in dieser Betrachtung das Szenario zu stark vereinfacht? Haben wir etwas ausgeblendet, das bei der moralischen(!) Bewertung der Entscheidungen berücksichtigt werden sollte? Wenn ja, was? Die dahinterstehenden Prinzipien? Ist eine Verletzung des Prinzips der moralischen Pflicht zur Hilfeleistung stets weniger schwerwiegend als eine Verletzung des Prinzips des moralischen Tötungsverbotes? Wenn ja, warum? Gibt es eine vernünftige Rechtfertigung, oder liegt der Unterschied vielleicht doch in einer bloßen Empfindung, in einem ruhigeren Gewissen, in der Suggestion durch die Bezeichnungen, die wir für die einzelnen Handlungen gewählt haben?

Ich neige aufgrund dieser Unklarheiten dazu, die Begrifflichkeiten der aktiven und der passiven Haltung, die leider eine beträchtliche Rolle in den entsprechenden Diskussionen spielen, äußerst kritisch zu betrachten. Insbesondere das generelle Tötungsverbot verdient die Stellung nicht, die es in unserer christlich geprägten Gesellschaft innehat. Wie nämlich will man argumentieren, dass Töten eine Handlung ist, die bereits a priori als verwerflich anzusehen ist, und nicht erst im Kontext einer moralischen Situation? Wenn ein Mensch Schmerzen leidet, die nicht zu lindern sind, und noch wenige Tage zu leben hätte, aber unter Tränen um den Tod fleht, wie könnte man das Töten in diesem Kontext als verwerflich ansehen?
Töten ist eine Handlung, die im Kontext zahlreicher moralischer Situationen verwerflich ist. Ein Prinzip des Tötungsverbotes als grundsätzliche Richtlinie ist daher angemessen, ein Prinzip des generellen Tötungsverbotes allerdings nicht. Eine Ethik, die aus 10 Normen besteht und keine Ausnahmen erlaubt, ist zu simpel. Wer sich bei ethischen Entscheidungen vornehmlich an Prinzipien orientiert, sollte diesen Punkt bedenken; insbesondere in der Diskussion komplexer, gesamtgesellschaftlicher Fragestellungen.

Liebe Grüße,
Mahiat

From → Betrachtungen, Ethik

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