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#MeToo als Lernprozess

10/11/2017

Seit einigen Wochen werden durch die #MeToo-Kampagne Fälle sexueller Belästigung offen gelegt. Die bisherigen Enthüllungen betrafen in erster Linie Männer in hochrangigen Positionen. Die Vorwürfe gegen Peter Pilz hatten seinen Rücktritt und damit erste Konsequenzen für die österreichische Politik zur Folge. Im Zuge dieser Entwicklungen ist Kritik an den Ausprägungen der Kampagne laut geworden. Peter Pilz sah sich letzte Woche als Opfer einer politischen Intrige. Peter Kolba, interimistischer Klubobmann der Liste Pilz, sprach nun gestern von einer Medienjustiz, der der Listengründer zum Opfer gefallen sei. Die reflexhafte Ablehnungs- und Verteidigungshaltung ist nicht nur eine übliche Reaktion von Politikern, die mit Vorwürfen jeglicher Art konfrontiert werden. Sie ist insbesondere auch eine Umgangsweise zahlloser Menschen mit Kampagnen wie #aufschrei oder #MeToo. Diese Bewegungen sind meines Erachtens nicht allein als gesammelte Vorwürfe gegen ganz bestimmte Einzeltäter zu verstehen, sondern vielmehr als Anklage eines gesamtgesellschaftlichen Bewusstseins. Im Folgenden möchte ich erklären, warum ich diese Klage für berechtigt halte.

Die Suche nach einer intersubjektiv nachvollziehbaren Definition von sexueller Belästigung war Gegenstand zahlloser Debatten. Die Frage nach der Grenze zwischen legitimen Annäherungsversuchen und unangemessenem Verhalten wurde oft gestellt. Alle Versuche, ein objektives Kriterium zur Bestimmung dieser Grenze anzugeben, scheiterten und mussten scheitern. Die Antwort ist denkbar einfach: ein solches Kriterium existiert nicht. Es ist einfach nicht möglich, eine intersubjektive Definition für etwas festzulegen, das von der subjektiven Bewertung eines jeden Individuums abhängt. In unserem Fall geht es darum, wann etwas als Belästigung empfunden wird und wann nicht. Gefühle unterliegen keinen Geboten, Verboten, rechtlichen Bestimmungen oder anderweitigen formalen Einschränkungen. Auf diese Frage kann es also keine unberechtigten Antworten geben.
Muss nun irgendwer ob dieser vermeintlichen Ungewissheit kapitulieren und bedauern, er wüsste nicht mehr, wie er sich dem anderen Geschlecht gegenüber verhalten soll? Manch ein Mann tut zurzeit so, als wäre er ein Roboter und würde sich in allen zwischenmenschlichen Begegnungen nach einem programmierbaren Protokoll richten. Nun hätte man ihm seine Grundlage für den Umgang mit Frauen entzogen, was jeglichen weiteren Umgang mit dem anderen Geschlecht unmöglich mache. Natürlich aber ist das absoluter Unsinn und nichts anderes als eine Ausrede, um eigene Verhaltensweisen und deren Auswirkungen auf andere nicht überdenken zu müssen. Es mag aus den erwähnten Gründen vielleicht kein todsicheres Rezept für gelungene soziale Interaktion geben. Um Menschen im eigenen Umfeld nicht regelmäßig emotional zu verletzen, genügen jedoch basalste Formen von Selbstkritik und Empathie. Es ist eben nicht schwierig zu bestimmen, wo „die Grenze“ ist; und niemand sollte dafür eine allgemeine Richtlinie benötigen.
Auch das Strafrecht kann eine solche Richtlinie im Übrigen nicht liefern. Es beschäftigt sich nämlich nur damit, welche Verhaltensweisen und Handlungen zu verbieten und bei einer Anzeige entsprechend juristisch zu verfolgen sind. Das aber ist eine andere Frage als die, die wir oben diskutiert haben. Vielen Kritikern der #MeToo-Kampagne scheint nicht bewusst zu sein, dass sexuelle Belästigung bereits lange vor der Strafwürdigkeit beginnt. Das Spektrum reicht von unangemessenen Äußerungen über körperliches Bedrängen bis hin zur Vergewaltigung. Und wenn ein Chef zu seiner Angestellten häufig „Schatzi“ sagt, oder ein Mann erwachsene Frauen regelmäßig als „Madl“ oder „Dirndl“ bezeichnet, macht er sich natürlich nicht strafbar. Er bringt damit aber ein gewisses Mindset, eine Einstellung gegenüber diesen Frauen zum Ausdruck, ob sie ihm nun selbst überhaupt bewusst ist oder nicht. Kein Mann, der Frauen mit Respekt begegnet und sie als reife und gleichberechtigte Persönlichkeiten ansieht, spricht in dieser Weise zu ihnen oder über sie.

Es geht schließlich um dieses Mindset, das tatsächlich viel weiter verbreitet ist als die Neigung zu strafwürdigen sexuellen Handlungen. Es handelt sich um den Nährboden für alle weiteren Diskriminierungen. Kampagnen wie #MeToo bieten die Möglichkeit, derartig tief verankerte Einstellungen in unserer Gesellschaft aufzuzeigen, in Frage zu stellen und in letzter Konsequenz zu bekämpfen. Gelingen kann dies nur durch einen Lernprozess, der die Menschen zum Umdenken bewegt und dazu, in ihrem eigenen Umfeld mehr Kritik an entsprechenden Äußerungen zu üben. Wir müssen damit aufhören, längst überholte Geschlechterstereotype als gegeben hinzunehmen und im schlimmsten Falle unsere Kinder danach zu erziehen. Diese Debatte ist gewiss auch eine juristische, aber in erster Linie ist sie eine psychologische. #MeToo zeigt uns, dass wir in unseren Köpfen von Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern nach wie vor meilenweit entfernt sind.

Liebe Grüße
Mahiat

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