Zum Inhalt springen

Zur Abstrahierung in Wissenschaft und Kunst

07/10/2013

Das fundamentalste Handwerk jedes Wissenschaftlers besteht aus mathematischen Methoden. Über die vielfältigen Dienste der Mathematik für alle wissenschaftlichen Bereiche habe ich bereits einen Artikel geschrieben, nämlich „Zur Mathematisierung der Wissenschaften„. Heute möchte ich auf einen konkreten Nutzen eingehen, der sich in einer unkonventionellen Auseinandersetzung mit nicht nur rein rationalen Gegenständen äußert und daher für jeden, der Mathematik studiert, persönlichkeitsbildende und -verändernde Konsequenzen nach sich zieht; die Abstrahierung von Sachverhalten.

Innerhalb der reinen Mathematik ist es üblich, Aussagen über Objekte der ideellen Vorstellung möglichst allgemein zu fassen. Der Theoretiker hat mit konkreten Beispielen, mit Anwendungsmöglichkeiten und Beziehungen zur erfahrbaren Wirklichkeit wenig zu schaffen. Dennoch ist er sich der Leistung dieses abstrakten Ansatzes bewusst. Gerade diese Freiheit von Einschränkungen, diese Genauigkeit in der grundsätzlichen Formulierung seiner Sätze erlaubt es, sie als Methoden und Systeme in unterschiedlichsten Gebieten und Zusammenhängen zu verwenden. Tatsächlich gibt es wohl keinen Bereich des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens der Moderne, in dem sich die Mathematik nicht zumindest in irgendeinem Bezug finden ließe.
Aufgrund dieses Erfolges abstrahierender Vorgehensweisen sollte es ein Bestreben sein, nicht nur die Mathematik auf diese Weise zu gestalten. Ebenfalls naheliegend finde ich, philosophische Ideen in dieser Weise aufzubauen und zu diskutieren. Insbesondere habe ich in den letzten Jahren den Einfluss des mathematischen Studiums auf meine ethischen und metaphysischen Ansätze spüren können. So ist es beispielsweise auch heutzutage keinesfalls üblich, eine Moral nicht allein am Menschen zu orientieren, sondern sie im Bezug auf Lebewesen mit gewissen Eigenschaften zu formulieren. Eine Diskussion über ethische Normen ist noch allzu oft eine Debatte über bestimmte Situationen, in denen sie eine gewisse Anwendung finden sollten und könnten, und keine grundsätzliche Auseinandersetzung über dahinterstehende Überlegungen.
Schließlich begründen meine Affinität zu allen Ideen, deren Gehalt nicht an die Bedingungen dieser Welt gebunden sind, und meine Freude am Unvergänglichen, am allseits, allzeits und allorts Gültigen mein Naheverhältnis zur Logik, zur Philosophie und zur Mathematik. Die sinnliche Wahrnehmung stimuliert die Kreativität und inspiriert Überlegungen, doch die Rechtfertigung von Aussagen über Zusammenhänge außerhalb der von uns erfahrenen Wirklichkeit muss, wenn sie keine unzulässige Verallgemeinerung sein soll, eine andere Grundlage haben als die Berufung auf persönliche Erlebnisse, und dann überhaupt die Möglichkeit von Umständen miteinbeziehen, die uns unbekannt sind.

Das Abstrakte verlangt dem Rezipienten mehr ab als das Konkrete, denn es appelliert an seine Selbstverantwortlichkeit, die erhaltene Information auf individuelle und mannigfaltige Weise zu interpretieren, ohne dabei den Rahmen des bedingt Zulässigen zu verlassen. Auch an der abstrakten Kunst schätze ich die manchmal schier unerschöpfliche Vielfältigkeit an Wirkungen, die ein solches Werk bei seinem Publikum zulässt. Vielmehr aber, und mit dieser Bemerkung fasst sich der Artikel zusammen, sollten wir uns nicht stets nur mit den tatsächlichen Inhalten beschäftigen, sondern vorher in erster Linie mit der Art und Weise, wie wir über diese nachdenken und sprechen. Jede Grundlagendisziplin kann dabei große Hilfe leisten.

Liebe Grüße,
Mahiat

Kommentar verfassen

Hinterlasse einen Kommentar