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Zu unserer Verantwortung

19/03/2012

Vor einigen Monaten habe ich in meinem Beitrag „Zur moralischen Grundlage“ eine ethische Basis für unser Handeln zu formulieren versucht, also sozusagen eine Maxime, nach der wir uns stets richten können und sollten. Das Resultat der Überlegungen lautete in aller Kürze: “Handle mit der Absicht, dich selbst und andere Lebewesen möglichst glücklich zu machen.”

Diese Formulierung lässt in ihrer Banalität zahlreiche Fragen offen. Einige davon habe ich natürlich in anderen Artikeln bereits beantwortet. So spreche ich in „Zum Glück“ von der Verschiedenheit der Vorstellungen davon, wie Glück zu erreichen ist, und dass es tatsächlich einleuchtet, dass nicht alle Lebewesen auf dieselbe Weise glücklich werden können, da ein jeder andere Bedürfnisse hat und andere Ziele verfolgt. Außerdem habe ich dort die verwandte Frage beantwortet, weshalb wir den Interessen von Tieren in ethischen Fragen grundsätzlich weniger Bedeutung beimessen, als denen von Menschen.
Weiters muss man sich überlegen, was es bedeutet, glücklich zu sein. Oft habe ich schon erwähnt, dass ich das Leiden als unumgänglich für Glück betrachte, weil es in der Natur der Sache liegt, dass man fortwährende Befriedigung nach geraumer Zeit nicht mehr als positiv, sondern als selbstverständlich wahrnimmt(*). Nach diesem Verständnis wechseln sich Zustände des „Leidens“ (Begehren) beziehungsweise der Spannung mit Zuständen des „Glücks“ (Befriedigung) beziehungsweise der Entspannung ab, und zwar im besten Fall gemäß einer wünschenswerten, harmonischen Regelmäßigkeit. Bedeuten Zustände des Glücklichseins also ein momentanes Freisein von Leiden, oder haben sie Qualitäten, die darüber hinausreichen? In jedem Fall wird deutlich: Der Leidminimierung ist gegenüber der Glückmaximierung ein Vorrang einzuräumen.
Die wichtigere Frage, der ich mich bisher noch kaum gewidmet habe, beschäftigt sich mit ethischer Verantwortung und nimmt Bezug auf die Tatsache, dass aus der Maxime nicht hervorgeht, in welchem Ausmaß wir auf unser eigenes, und in welchem Ausmaß wir auf das Glück anderer achten sollen. So könnte man beispielsweise sagen: Gehen wir davon aus, dass andere Lebewesen im selben Ausmaß zu Glück und Leid fähig sind wie wir, so sind wir der Absicht verpflichtet, uns gleichermaßen um ihr Wohlbefinden zu kümmern, wie um das unsrige; selbst, wenn sie uns völlig fremd sein sollten. Leider zeigt uns die Lebenserfahrung, dass dies vielleicht nicht aus theoretischer, aber aus praktischer Sicht wohl gewiss zuviel verlangt wäre. Müsste man sich an dieses Prinzip halten, so könnten die Menschen in der ersten Welt nicht mehr das selbe Leben führen. Sich in erster Linie um sich selbst und um geliebte und bekannte Menschen und erst in zweiter Linie um andere zu kümmern, ist also ganz natürlich. Ich sage natürlich; ob es einer vernünftigen Ethik gemäß in Ordnung ist, diese Frage bleibt noch offen.

Woraus entspringt eine vernünftige Ethik? Dies ist in der Philosophie eine vieldiskutierte Frage. Manche meinen, ethische Sätze können im aussagenlogischen Sinne wahr oder falsch sein. Sie sagen, die „richtige“ Ethik ist bereits existent und muss vom Menschen entdeckt oder erfahren werden. Ich bin aber entschieden der dazu konträren Ansicht, nämlich, dass die Ethik ein Kulturgut ist, dass sie also vom Menschen zu einem gewissen Zweck entwickelt wurde und demnach nicht wahr oder falsch, sondern ebendiesem Zweck entsprechend nur nützlich oder nicht nützlich sein kann. Ein gutes und oft genanntes Vergleichsbeispiel wäre die Straßenverkehrsordnung. Sie dient dem Zweck, einen flüssigen und möglichst unfallfreien Verkehr aufrechtzuerhalten.
Ich sage, eine vernünftige Ethik soll zum Zweck haben, eine Gesellschaft zu ermöglichen, in der jeder so glücklich leben kann, wie irgend möglich. Das entspricht gerade meiner Maxime. In diesem Sinne wäre es natürlich ein Ideal, wenn jedem Menschen genauso auch die Interessen der anderen am Herzen liegen würden. Dies widerspricht aber, und das mag seltsam klingen, nicht zuletzt auch unseren Gefühlen. Wir wollen zuerst für jene sorgen, die wir lieben. Dies hat auch zur Konsequenz, dass wir die Glückmaximierung ebenjener über die Leidminimierung von Fremden stellen, was natürlich mit meiner Maxime nicht mehr vereinbar ist. Aber letztendlich ist es selbstverständlich; so sind wir, und ich denke, wir können gar nicht anders sein. Was müssen wir also tun? Wir müssen das erkennen, müssen es akzeptieren und dann nach Kräften darum bemüht sein, Kompromisse zu suchen. Peter Singer tritt in seinem Werk „Praktische Ethik“ beispielsweise dafür ein, dass Menschen aus der ersten Welt, also jene, die es sich leisten können, 10% ihres Einkommens spenden.

Wenn nur jeder sich bewusst wäre, dass er nicht die ganze Welt ändern kann, aber Kleinigkeiten an eigenen Verhaltensweisen und an der eigenen Person, würden sich viele Ungleichheiten auf der Erde sofort regulieren. Aber das ist hinlänglich bekannt. Vielleicht konnte ich den einen oder anderen Leser dazu anregen, sich ein paar Gedanken zu machen.

Liebe Grüße,
Mahiat

* Hierzu ein schönes Zitat: „Wie die Not die beständige Geißel des Volkes ist, so die Langeweile die der vornehmen Welt.“ – Arthur Schopenhauer

From → Betrachtungen, Ethik

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