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Zur Gerechtigkeit

01/03/2012

Nachdem ich mich in letzter Zeit mit philosophischen Betrachtungen auf diesem Blog weniger beschäftigt habe, möchte ich mich mit dem heutigen Artikel wieder einem eher theoretischen Thema widmen, und zwar der Frage, was die Bedeutung des Begriffes Gerechtigkeit ist.

Gerechtigkeit steht immer in einem sozialen Kontext. Intuitiv wird damit ein Gefühl von Ausgewogenheit verbunden. Offenbar haben wir es mit einem rein positivem Begriff zu tun, der etwas Ideales (und meiner Ansicht nach, wie dieser Artikel zeigen wird, Ideelles) beschreibt, weshalb er von Politikern sehr gerne verwendet wird. Besonders für jene ist es natürlich von Vorteil, dass es eine Auslegungssache ist, worauf sich ihr Konzept erwähnter Ausgewogenheit bezieht. Einer entsprechenden Eigeninterpretation gemäß mag sich jede politische Richtung als gerecht betrachten, wenn auch die eine oder andere sich damit nur an eine bestimmte Bevölkerungsgruppe richtet.
Um den Begriff der Gerechtigkeit näher zu beleuchten, muss vor allem klar gestellt werden, in welchen Situationen er Gebrauch findet. Das sind einfach gesprochen jene, in denen mehrere Menschen dasselbe Ziel verfolgen oder die gleiche Sache begehren. Ein erstes Beispiel ist die Verteilung (materieller) Güter. Im einfachsten Fall betrachtet man diese als gerecht und ausgewogen, wenn jeder, der ein derartiges Gut begehrt, denselben Anteil davon bekommt. In komplizierteren Fällen sieht es manchmal so aus, dass, aus welchen Gründen auch immer, dem einen mehr oder weniger zustehen soll, als dem anderen. Eine gleiche Verteilung wird dann als unausgewogen und ungerecht betrachtet. In solchen Situationen stellt sich dann nicht selten die Streitfrage, wer in der Lage sein soll, das präzise und exakt genug beurteilen zu können.
Der Wettbewerb ist ein weiteres Beispiel dafür: Als gerecht betrachten wir einen solchen dann, wenn jeder Teilnehmer denselben „äußeren“, nicht seinem Einfluss unterliegenden Voraussetzungen und Umständen ausgesetzt ist. In diesem Fall herrscht nämlich Chancenausgewogenheit. Die Unterschiede, die zwischen den „inneren“ Voraussetzungen der Teilnehmer bestehen, also zwischen den Faktoren, auf die die Kandidaten Einfluss haben, sollen den Sieger des Bewerbes ausmachen.

Anhand dieser Beispiele wird einiges klar. Zuerst einmal liegt dem Konzept der Gerechtigkeit offenbar immer der Charakter eines Vergleiches zugrunde. Wer beurteilen will, ob etwas gerecht ist oder nicht, tut dies – wenn auch sehr häufig im Stillen – immer im Bezug auf eine andere, ähnliche Sache.
Mithilfe des zweiten Beispieles merkt man, dass absolute Gerechtigkeit eine rein gedankliche Idee ist. Tatsächlich ist es nämlich bei vielen Wettbewerben so, dass gerade äußere Voraussetzungen eine entscheidende Rolle spielen, also nach obiger Definition jene, auf die die Teilnehmer einen geringen bis gar keinen Einfluss haben. Ob nämlich jemand eine schöne Stimme hat, ob jemand nett anzusehen ist, ob jemand intelligent ist oder anderweitig bevorteilt, liegt zu großen Teilen nicht in seiner Macht. Das sind Faktoren, die in den jeweils dazugehörenden Wettbewerbssituationen der Alltäglichkeit des Lebens vieles enorm einfacher machen. Und schließlich ist es gewiss nicht gerecht, dass der eine für dasselbe Ziel härter arbeiten muss, als der andere, und noch weniger, dass einer ein Ziel erreichen kann, dass dem anderen bei aller Arbeit immer versagt bleiben wird. Selbst dann also, wenn man jede Determinismusdiskussion außen vor lässt, muss man bemerken, dass nicht nur das Los der Geburt unsere Chancen sehr ungerecht verteilt.

Wir leben, und das ist den meisten Menschen wohlbewusst, demnach in einer ungerechten Welt. Es liegt mir am Herzen, dieses Bewusstsein zu fördern. Wer sich nämlich diese unserer Existenz einverleibte, kausale Ungerechtigkeit vor Augen führt, ist automatisch von sich aus dazu angehalten, sich solidarisch zu zeigen gegenüber jenen, die ein schlechteres Los gezogen haben, als er. Des Menschen Idee der Gerechtigkeit in einer natürlich ungerechten Welt soll als kulturelles Gut höchsten Ranges betrachtet werden, das uns beständig dazu ermahnt, dementsprechend zu handeln.

Liebe Grüße,
Mahiat

From → Betrachtungen, Ethik

2 Kommentare
  1. Möchte dazu das Philosophische Radio mit einem Beitrag zur Gerechtigkeit empfehlen:
    http://www.wdr5.de/sendungen/philosophische-radio/s/d/04.11.2011-20.05.html

    Schönen Gruss, tinyentropy

  2. Das kann ich jedem Leser nur empfehlen, ich habe mir bereits einiges davon angehört. Wer meinen Blog verfolgt, weiß natürlich, dass ich in sehr wesentlichen Punkten anderer Meinung bin, als der Gast; ein gewisser Hans Joas, der „Die Sakralität der Person“ im Suhrkamp Verlag veröffentlicht hat.

    Den Schlusssatz finde ich interessant: „Grübeln Sie nicht zuviel.“

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