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Zur Wehrpflicht

20/09/2012

Oft bin ich mit meinen Themen hier auf dem Blog etwas später dran als die Öffentlichkeit. Dass ich meine Artikel erst dann veröffentliche, wenn die Angelegenheit großteils aus den Medien ist, hat vor allem damit zu tun, dass ich mich davor in der Hitze der Diskussionen mit den verschiedenen Positionen und Argumenten auseinandersetze. Was die Wehrpflicht betrifft, mit der ich in diesem Artikel (nicht ganz korrekt) sowohl den Wehrdienst als auch den Zivildienst bezeichne, so hat sich meine klare Einstellung zu ihr in den letzten Wochen nicht verändert, vielleicht aber die Schlagkräftigkeit meiner eigenen Argumente.

Die Wehrpflicht ist ein Dienst des Einzelnen an der Allgemeinheit, zu dem dieser mittels Androhung eines empfindlichen Übels, dem Entzug der Freiheit, vom Staat gezwungen wird. Insofern gibt es also eine Wesensverwandtschaft der Wehrpflicht zur Zwangsarbeit, als es sich um eine Arbeit handelt, die unter Zwang geleistet werden muss. Es gibt Männer, die gerne bereit sind, einen Dienst dieser Art zu tun. Wer eine Pflicht freiwillig erfüllt, dem erscheint es unverhältnismäßig, sie Zwang zu nennen. Das alltägliche Leben in unserer Gesellschaft bringt viele Pflichten mit sich, deren Missachtung mit empfindlichen Übeln verbunden ist. Diese Pflichten liegen jedoch im eigenen Einflussbereich. Sie entstehen durch die Ausbildung, durch den gewählten Beruf, durch abgeschlossene Verträge oder auch durch Entscheidungen im Privatleben. Viele davon erfüllen wir freiwillig, manche sogar mit großer Freude. Ist dem nicht so, so haben wir im besten Fall die Möglichkeit, uns für eine Alternative zu entscheiden. Im schlimmsten Fall müssen wir eine unerfreuliche Lebenssituation aussitzen, in die wir uns selbst hineinmanövriert haben oder die sich unglücklicherweise ergeben hat.
Die Wehrpflicht ist von ganz anderer Gestalt. Sie ist eine von fremder Hand auferlegte Pflicht, die sich dem eigenen Einfluss gänzlich entzieht. Es gibt keine Alternative zu ihr. Das bedeutet, dass es keine Möglichkeit gibt, sich dieser Pflicht durch eigene Entscheidungen zu entziehen. Jeder taugliche Mann wird mit ihr konfrontiert. Es gibt sicher genug Leute, die Gefallen an den Tätigkeiten haben mögen, die sie im Rahmen ihres Dienstes zu leisten haben. Doch wer weder beim Heer noch im sozialen Bereich arbeiten möchte, der muss. Für den ist diese Pflicht ein Zwang. Da er nichts dagegen ausrichten kann, ist er einer Situation hilflos ausgeliefert, in die er sich nicht selbst manövriert hat und die sich auch nicht aus einer unglücklichen Fügung heraus ergeben hat. Wir sehen, dass die Wehrpflicht daher im Gegensatz zu anderen Pflichten eine besondere Eigenschaft hat, die sie zu einem einzigartigen Phänomen in unserem Staat macht. Es ist ein Phänomen, das stellvertretend für konservative Modelle steht, die langsam aussterben. In 21 von 27 EU-Staaten gibt es die Wehrpflicht nicht mehr.
Ein derartig drastischer Eingriff in die Grundrechte eines Individuums, wie die Wehrpflicht ihn darstellt, ist also an sich nicht wünschenswert und daher in höchstem Grade rechtfertigungsbedürftig. Da man sich darin großteils einig scheint, wurde als Rechtfertigung in den letzten Wochen oftmals die Notwendigkeit der Zivildiener zur Aufrechterhaltung des Sozialsystems angeführt. Wer aber auf diese Weise argumentiert, der sagt im Prinzip, dass wir in Österreich zur Gewährleistung sozialer Dienste nicht in der Lage sind, ohne junge Männer unter Androhung von Strafe und darüber hinaus ohne nennenswerte Entlohnung zu einer entsprechenden Arbeit zu verpflichten. Ein trauriges Zeugnis wäre das, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass die meisten anderen Staaten in Europa dazu offenbar durchaus fähig sind. Unfortschrittlich und veränderungsscheu klingt die Behauptung, die Wehrpflicht hätte sich für unsere Gesellschaft bewährt. Geradezu hämisch hört sie sich für jene Männer an, die Schaden an ihr genommen haben.
Wenn wir der Wehrpflicht mit all diesen negativen Beigeschmäcken tatsächlich bedürfen, so ist das als trauriger Missstand anzusehen, und alle Energie soll man darauf verwenden, die Notwendigkeiten zu beseitigen, die mit ihr verbunden sind und einer Abschaffung im Weg stehen. Ein Blick ins Ausland lässt aber ohnehin vermuten, dass die Probleme, die die Abschaffung der Wehrpflicht mit sich bringen könnte, in Folge gar nicht erst auftauchen oder leicht zu lösen sind. Dies gilt für die Befürchtung, dass sich in einem Berufsheer nur bestimmte soziale Gruppen finden würden. Es gilt auch für die Angst, dass das Sozialsystem mangels Freiwilliger nicht dieselben Dienste erbringen könnte, wie es dies jetzt tut. Ich bin mir sicher, dass eine Abschaffung der Wehrpflicht nicht nur dem Einzelnen, sondern nach geraumer Zeit auch der Gesellschaft nützlich wäre. Leute, die für ihre Arbeit angemessen entlohnt werden, die sich dazu entschieden haben und es als ihre Berufung ansehen, die sich durch längere Ausbildung für anfallende Tätigkeiten qualifizieren, bringen unvergleichbare Kompetenz und Engagement mit.

Wenn wir also zu der Schlussfolgerung kommen, dass die Wehrpflicht weder wünschenswert noch unbedingt notwendig ist, dann ist es klar, dass eine Abschaffung der richtige Schritt ist; ein Schritt weg von einem Modell, das offenbar keine Zukunft hat. Ein Schritt weg von einer konservativen Institution, die ihre Berechtigung wie viele andere konservative Einrichtungen und Werte laut Befürwortern dadurch erhalten soll, dass sie schon lange Bestand hat. Man möge bei seiner Entscheidung im Jänner ’13 vor allem aber ein Bild vor Augen haben, nämlich dass des Wehrpflichtigen, der seine Tätigkeit als Zwang empfindet. Man soll nachempfinden, was dieser Zwang für ihn bedeuten kann. Er leistet gegen seinen Willen etwas, ohne wirklich dafür entlohnt zu werden, und wird bestraft, wenn er diese Leistung nicht erbringt. Jede Form der Würdigung seiner Arbeit kann er nicht ernst nehmen, da es durch das ihm angedrohte Übel ja eine schiere Selbstverständlichkeit ist, dass er sie tut. Doch auch den inkonsistenten, fragwürdigen und rückständigen Charakter der Wehrpflicht und ebenso der Argumentation ihrer Befürworter sollte man nicht aus dem Blick verlieren, der nicht zuletzt auch darin offenkundig wird, dass sie nur die Männer trifft; wenn ich auch natürlich froh darüber bin, dass sie wenigstens jungen Frauen erspart bleibt.

Liebe Grüße,
Mahiat

2 Kommentare
  1. Martin Maier permalink

    Lieber Markus/ Herr Hittemeir,

    ich nehme mir die Freiheit, einen wesentlichen Punkt an Ihrer Argumentation zu kritisieren. Meine Kritik betrifft das Menschenbild, das im Artikel vermittelt wird, und, meiner Meinung nach, völlig unreflektiert die Paradigmen eines sogenannten neo(wirtschafts)liberalen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem widerspiegelt und weiter an die Spitze treibt. Während sich diverse Vertreter dieser Ideologie wenigstens Nachholbedarf zum Thema Chanchengleichheit eingestehen, ist die Grundlage Ihrer Argumentation, die Annahme einer völlig homogenen und gleichberechtigten Gesellschaft, und fußt daher auf einem vollkommen utopischen, ja ich möchte sagen, überholten, Gesellschaftsbild. Bezeichnend finde ich das Zitat „Im schlimmsten Fall müssen wir eine unerfreuliche Lebenssituation aussitzen, in die wir uns selbst hineinmanövriert haben oder die sich unglücklicherweise ergeben hat.“ Diese Annahme und Argumentation steht in keiner Relation zu den tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnissen und ist an Zynismus kaum zu überbieten.

    Nun bin ich mir im Klaren darüber, dass meine Kritik keineswegs Ihre Grundargumentation aushebelt, es auch gar nicht versucht, und ihr sehr leicht, à la „nur weil es ein noch größeres Übel gibt, ist das kleinere nicht zu dulden“, widersprochen werden könnte, dennoch ergibt sich für mich daraus eine Grundsatzfrage, nämlich die Frage nach den Autoritäten, denen wir als Gesellschaft zu gehorchen haben. Denn nach Ihrem Bild hat man sich zwischen der völligen Unterwerfung des Sozialwesens unter die staatliche Kontrolle („Zwangsarbeit“, „Strafandrohung“) oder, im selben Ausmaß, unter die Mechanismen der freien Marktwirtschaft (dies betrifft auch die „funktionierenden“ Modelle im Ausland), wofür Sie plädieren, zu entscheiden. Dass dadurch wiederum der Weg für gravierende Einschnitte in die Freiheit Einzelner und vor allem der gesamten Gesellschaft bereitet wird, darf nicht verschwiegen werden.

    Mit besten Grüßen,
    Martin Maier

  2. Lieber Herr Maier,

    ich danke erstmal für Ihr Kommentar. Es fällt mir allerdings schwer, Ihre Gedanken nachzuvollziehen. Ich bitte um Aufklärung darüber, warum meine Argumentation an eine uneingeschränkte Befürwortung eines neoliberalen Wirtschaftssystems gebunden sein soll, das ich im Übrigen ablehne. Weiters leuchtet mir nicht ein, welche meiner Aussagen eine „völlig homogene und gleichberechtigte Gesellschaft“ voraussetzt. Ebensowenig kann ich verstehen, was Sie in den von Ihnen zitierten Satz über unerfreuliche Lebenssituationen hineininterpretiert haben mögen, der beileibe nicht auf eine derartige Bedeutungsschwere abzielen sollte, die Sie ihm unterstellen.

    Ich formuliere es anders: Dass ich für die Abschaffung der Wehrpflicht bin heißt nicht, dass ich sämtliche sozialen Zwecken dienliche Eingriffe des Staates in wirtschaftliche Belange schlechtheiße. Ganz im Gegenteil: Ich denke, dass es beispielsweise einige Möglichkeiten für den Staat gibt, durch ein gewisses regulatives Eingreifen soziale oder auch militärische Berufe für den Bürger außerordentlich attraktiv zu machen, sollte es denn überhaupt nötig sein. Der Einzelne soll weder der völligen Unterwerfung unter den Staat noch der Unterwerfung unter die Willkür freier marktwirtschaftlicher Strukturen ausgesetzt sein. Es gibt nicht nur denkbare, sondern durchaus realistische Alternativen zu diesen beiden Extremen.

    Von alldem abgesehen ist es ja auch heute nicht der Fall, dass das gesamte Sozialwesen hoffnungslos abhängig von Wehrpflichtigen wäre. Sie sind ein fest integrierter Baustein dieser Struktur. Ich bestreite aber, dass sie ein unersetzbarer sind.

    Liebe Grüße

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